In einer anderen Welt (German Edition)
miteinander. Während des Kriegs strickten sie Socken für die Soldaten, und nach dem Krieg eröffneten sie in einem zur Straße hin gelegenen Zimmer einen Wollladen, in dem sie Wolle und selbstgestrickte Sachen verkauften. Dort roch es seltsam nach Tieren, was sie mit Schüsseln voller getrocknetem Lavendel aus Tantchen Florries Garten zu überdecken suchten, den ersten Potpourris, die ich je gesehen hatte.
Mein Großvater hatte drei Schwestern, die alle heirateten und Kinder bekamen. Eine der Töchter, Tantchen Maudie, fiel in Ungnade, weil sie einen Katholiken heiratete und nach England zog, wo sie elf Kinder hatte, das letzte davon mongoloid, und vier weitere adoptierte, zwei davon aus Afrika. Ich finde das nicht schockierend, wo sie doch für alle sorgen konnte. Sie war die Lieblingsschwester meines Großvaters gewesen, aber jetzt konnten sie nicht mehr im selben Zimmer sein, ohne sich zu streiten. In vieler Hinsicht glich sie ihrer Mutter. Mir will nicht einleuchten, was so schockierend daran ist, ein Katholik zu sein, verglichen mit einem Bigamisten, was alle dem toten Alexander nachgesehen hatten, oder einer Lesbe wie Tantchen Olwen, worüber die Leute nicht redeten, sondern was sie schweigend hinnahmen.
Tantchen Bronwen hatte drei Söhne und eine Tochter, und ihr Mann war Grubenarbeiter. Tantchen Florrie wohnte ganz in der Nähe von uns, und wir sahen sie alle naselang – meine Großmutter ließ sie die Kinder hüten. Ihr Mann, ein Bergarbeiter, war im Krieg gefallen. Sie hatte zwei kleine Buben, meinen Onkel Clem, der wegen Fälscherei ins Gefängnis gegangen ist, und Onkel Sam, der kaum je nach Hause kam. Eines Tages hatte sie in ihrem Haus den Teufel gesehen und jagte ihn mit einem Gebetbuch ins obere Stockwerk, wo sie ihn in der Abstellkammer einschloss. Hinterher bat sie meinen Großvater, die Tür zur Abstellkammer zuzumauern, damit der Teufel nicht wieder rauskonnte. Jahre später, nach ihrem Tod, riss er die Mauer ein, und wir schauten ihm dabei neugierig über die Schulter. Und was kam dabei zum Vorschein? Eine Druckerpresse. Er warf sie raus, aber nicht bevor wir eine ganze Menge unbedruckter Visitenkarten und ein paar Bleilettern stibitzt hatten.
Mein Großvater Luke war der Jüngste, und er heiratete meine Großmutter Becky, und sie hatten zwei Kinder, Elizabeth und Tegan. Meine Mutter Liz heiratete meinen Vater und hatte uns. Tantchen Teg heiratete niemanden, weil sie immer viel zu sehr damit beschäftigt war, uns großzuziehen. Für uns war sie in vieler Hinsicht eher eine viel ältere Schwester als eine Tante.
Ich vermisse sie sehr, und Opa auch.
Samstag, 6. Oktober 1979
Heute ist ein wunderschöner Tag, der schönste, seit ich hier bin.
Ich habe es in den Ort geschafft, bevor die Bibliothek zumachte, und versucht, einen Ausweis zu bekommen. Sie haben mir keinen gegeben. Ich war bemerkenswert zurückhaltend und erhob nicht einmal die Stimme. Dafür, sagten sie, bräuchten sie die Unterschrift eines Elternteils und einen Aufenthaltsnachweis. Ich erklärte ihnen, dass ich aus Arlinghurst käme, als ob sie das nicht selbst sehen konnten. Wenn wir das Gelände verlassen, müssen wir ein marineblaues Trägerkleid anziehen, einen marineblauen Blazer, einen Schulregenmantel (wenn es regnet, aber es regnet immer, nur heute scheint die Sonne) und ein Schulkäppi – im Winter ein Barett, im Sommer einen Strohhut. Für mich ist jede Art von Kopfbedeckung eine Strafe; wenn ich mich bewege, rutscht sie mir fast automatisch herunter.
Der Bibliothekar, ein noch recht junger Mann, sagte, dass ich, wenn ich aus Arlinghurst käme, die Schulbibliothek benutzen sollte. Ich erwiderte, dass ich das täte, aber sie sei für meine Bedürfnisse nicht ausreichend. Daraufhin sah er mich sogar kurz an und schob seine Brille nach oben. Für einen Moment dachte ich, ich hätte gewonnen, aber nein. »Du brauchst die Unterschrift eines Elternteils auf diesem Formular und einen Brief von der Schulbibliothekarin, in dem steht, dass du unbedingt Zugang zu dieser Bibliothek haben musst«, sagte er. Hinter ihm erstreckten sich die Regale mit Büchern in weite Ferne. Er ließ mich nicht einmal darin stöbern.
Dafür entdeckte ich eine Buchhandlung und ein Stück wildes Gelände. Die Einkaufsmeile von Oswestry besteht im Wesentlichen aus zwei Straßen mit einem Marktkreuz und, genau, einem Markt. Die Bibliothek, die in einem typisch viktorianischen Bibliotheksgebäude untergebracht ist, befindet sich in unmittelbarer
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