In einer anderen Welt (German Edition)
wieder hingesetzt habe, waren die Bücher von Shute und Tey immer noch da. Sie lässt meine Sachen meistens an ihrem Platz liegen, und wenn nicht, dann sagt sie mir, wo sie sie hingetan hat, oder sie gibt sie mir. Aber die gehörten ihr. Trotzdem habe ich angefangen, den Roman von Tey zu lesen. Ich glaube, das wollte sie auch. Ich glaube, sie hat bemerkt, dass es mir heute schwerfällt herumzulaufen, also hat sie die Bücher herübergebracht, damit ich etwas habe. Ich bin mir sicher, dass sie Der Staat für mich bestellt hat. Vermutlich bin ich die Einzige, die diese Bibliothek wirklich nutzt – nein, das ist nicht fair, manche Mädchen aus der Sechsten leihen sich Bücher, wenn sie einen Essay schreiben müssen. Aber offenbar ist Miss Carroll aufgefallen, wie viel Zeit ich hier verbringe, und deshalb ist sie so nett zu mir.
Ich möchte mich revanchieren. Manche Schülerinnen kaufen einer Lehrerin Rosinenbrötchen. Zählt Miss Carroll als Lehrerin? Vielleicht sollte ich ihr etwas zu Weihnachten schenken.
Donnerstag, 22. November 1979
Mein Bein plagt mich noch immer. Vielleicht sollte ich wieder zum Arzt gehen. Die Schwester dort hat ein Rezept für Ibuprofen, und ich könnte zu ihr gehen und mir welche holen. Aber dafür müsste ich zwei Treppen nach unten steigen und eine nach oben.
Wer hätte gedacht, dass Richard III. die Prinzen im Turm gar nicht umgebracht hat?
Ein Brief von Tantchen Teg, voller Neuigkeiten. Jetzt verstehe ich auch das mit den BH-Größen. Allerdings muss ich mich messen lassen, und ob ich das will, weiß ich nicht. Vielleicht sollte ich einfach ein paar Größen anprobieren, bis ich die richtige gefunden habe.
Freitag, 23. November 1979
Gestern bin ich schließlich doch noch zu der Schulschwester gegangen, und sie hat mir ein Schmerzmittel gegeben und gesagt, ich solle zum Arzt gehen, und sie hat auch gleich einen Termin für mich gemacht. Mir war nicht klar, was das bringen sollte, aber ich habe ihr nicht widersprochen.
Ich habe Gill dazu gebracht, den Brief in der Küche in den Abfall zu werfen. Wenn die ganzen Essensreste daraufgeworfen werden, verliert er seine Wirkung, und er wird bestimmt bald weggebracht. Zuerst habe ich Deirdre gefragt, und sie wollte ihn nicht anfassen. Kluges Mädchen.
Kein Wunder, dass Feen vor Schmerzen davonlaufen. Sie sind immer auf Unterhaltung aus, und Schmerzen sind furchtbar langweilig.
Morgen muss ich wieder fit sein, um in die Bibliothek zu gehen.
Samstag, 24. November 1979
In der Bibliothek lagen nur drei Bücher für mich bereit. Ich habe sie abgeholt, eine Genesungskarte für Opa gekauft und bin sofort wieder hierher zurückgefahren. Rotverschiebung und der BH können bis nächste Woche warten.
Manchmal bin ich mir nicht sicher, ob ich ganz und gar ein Mensch bin.
Ich meine, natürlich bin ich das. Klar, es wäre meiner Mutter zuzutrauen, dass sie mit Feen schläft – nein, so kann man das nicht ausdrücken. »Mit Feen schlafen« bedeutet, tot zu sein. Es wäre meiner Mutter zuzutrauen, dass sie mit Feen Sex hat, aber wenn, dann hätte sie damit angegeben. Und sie hat nie auch nur eine Andeutung gemacht. Dann hätte sie auch nicht gesagt, Daniel wäre der Vater, und sie hätte ihn auch nicht gezwungen, sie zu heiraten. Außerdem sieht Daniel uns irgendwie ähnlich – sagt Sam jedenfalls. Und die Kinder von Feen sind in den Liedern und Geschichten immer große Helden. Andererseits, was aus dem Kind von Tam Lin und Janet geworden ist, habe ich nie erfahren. Aber schaut euch doch Eärendil und Elwing an. Nein, das habe ich nicht gemeint.
Was ich meine, ist, wenn ich andere Leute anschaue, andere Mädchen auf der Schule, und wenn ich sehe, was sie mögen, was sie glücklich macht und was sie haben wollen, dann habe ich nicht das Gefühl, zur selben Spezies zu gehören. Und manchmal – manchmal ist es mir egal. Es gibt nicht viele Menschen, die mir etwas bedeuten. Manchmal habe ich den Eindruck, dass nur Bücher das Leben lebenswert machen, wie an Halloween, als ich weiterleben wollte, weil ich Babel-17 noch nicht zu Ende gelesen hatte. Das ist bestimmt nicht normal. Mir sind die Leute in den Büchern wichtiger als die Leute, denen ich jeden Tag begegne. Manchmal geht mir Deirdre so sehr auf den Senkel, dass ich am liebsten gemein zu ihr wäre und sie Dussel schimpfen würde wie alle anderen. Oft möchte ich sie anschreien und ihr sagen, wie dumm sie ist. Ich mache das nur aus reinem Egoismus nicht, weil sie fast die Einzige ist, die mit mir
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