In einer anderen Welt (German Edition)
redet. Und Gill, Gill ist mir manchmal unheimlich. Wer würde nicht lieber auf einem Drachen reiten oder Paul Atreides sein?
Sonntag, 25. November 1979
Einen Brief an Tantchen Teg geschrieben und mich bedankt. Sie hat gefragt, ob ich an Weihnachten nach Hause komme, also habe ich Daniel geschrieben, was er davon hält. Wahrscheinlich hat er nichts dagegen, dann muss er sich nicht um mich kümmern. Außerdem habe ich Sam einen langen Brief über Der Staat geschrieben. Und einen Gruß an Opa in die Genesungskarte gekritzelt – die ist echt süß, mit einem Elefanten, der im Bett liegt und einen Thermometer im Mund hat.
Ich vermisse Opa. Nicht dass ich mit ihm groß reden konnte wie mit Sam, aber er ist ein so wesentlicher Bestandteil meines Lebens. Er gehört einfach dazu. Opa und Oma haben uns aufgezogen, und dazu waren sie eigentlich gar nicht verpflichtet, sie hätten uns bei meiner Mutter lassen können, aber das wollten sie nicht.
Opa hat uns alles über die Natur erklärt und Oma alles über Gedichte. Er kannte jeden Baum und jede Wildblume, und erst hat er uns beigebracht, wie wir die Bäume an den Blättern voneinander unterscheiden konnten und dann an den Knospen und an der Rinde, damit wir sie auch im Winter auseinanderhalten konnten. Er hat uns auch gezeigt, wie man Gras flechtet und Wolle kadiert. Oma hat sich nicht allzu viel aus der Natur gemacht, obwohl sie gerne zitierte: »Wenn die Sonne lacht und der Vogel singt, dir Gott in den Garten das Glück auf Erden bringt.« Aber letztlich galt ihre Liebe den Wörtern, nicht dem Garten. Sie hat uns beigebracht, wie man kocht und wie man walisische und englische Gedichte auswendig lernt.
In gewisser Hinsicht waren sie ein seltsames Paar. Es gab nur wenig, worüber sie einer Meinung waren. Oft brachten sie sich gegenseitig auf die Palme. Sie hatten nicht einmal allzu viele Interessen gemeinsam. Kennengelernt haben sie sich in einem Laientheater, aber sie saß am liebsten im Publikum, und er wollte auf der Bühne stehen. Trotzdem liebten sie einander. Wenn sie »Ach, Luke !« sagte, klang das gleichzeitig zornig und zärtlich.
Ich glaube, sie hatte das Gefühl, in beengten Verhältnissen zu leben. Sie war Lehrerin, Mutter und Großmutter. Ich glaube, sie hätte sich mehr Poesie in ihrem Leben gewünscht, so oder so. Auf jeden Fall hat sie mich ermutigt, Gedichte zu schreiben. Was sie wohl von T. S. Eliot gehalten hätte?
Montag, 26. November 1979
Ich wachte mitten in der Nacht auf – das war kein Traum. Ich wachte auf und konnte mich nicht bewegen, ich war völlig gelähmt, und sie befand sich im Zimmer, schwebte direkt über mir, das weiß ich ganz sicher. Ich versuchte zu schreien und irgendwen zu wecken, brachte jedoch keinen Ton heraus. Ich spürte, wie sie näher kam, bis sie fast mein Gesicht berührte. Ich konnte mich nicht bewegen, konnte nicht sprechen, konnte mich ihrer nicht erwehren. Schließlich begann ich in Gedanken die Litanei gegen die Furcht aus dem Wüstenplaneten aufzusagen: »Die Furcht tötet das Bewusstsein, die Furcht führt zu völliger Zerstörung«, und dann war sie fort und ich konnte mich wieder bewegen. Ich stand auf und holte mir etwas zu trinken, und meine Hände zitterten, sodass ich mir die Hälfte davon über mein Shirt kippte.
Wenn sie in die Schule reinkommt, bringt sie mich beim nächsten Mal vielleicht um.
Die Feen hier reden nicht mit mir, und ich kann Glorfindel oder Titania nicht schreiben, um sie zu fragen, wie ich sie aufhalten kann. Selbst wenn Daniel mir erlaubt, an Weihnachten nach Hause zu fahren, ist es bis dahin noch fast ein Monat.
Ich habe zwei kleine Steine, die ich, als ich das letzte Mal ihre Briefe verbrannt habe, als Teil des Kreises verwendet habe, und die habe ich vor den beiden Fenstern auf den Sims gelegt. Sollte sie versuchen, da durchzukommen, verwandeln sich die beiden Steine hoffentlich in Felsplatten und versperren ihr den Weg. Eigentlich sollte ich eine ganze Reihe von Steinen da hinlegen oder eine Sandlinie ausstreuen oder etwas in der Art. Das Problem daran ist, dass in dem Saal noch elf andere Mädchen schlafen, und die sehen nur einen kleinen Kiesel und machen sich wahrscheinlich weiter keine Gedanken darüber. Oder sie stören sich daran. Ich werde jeden Abend, bevor ich ins Bett gehe, nachschauen müssen, denn irgendjemandem fällt früher oder später bestimmt etwas auf. Ich könnte es ihnen wahrscheinlich auch erklären, aber ich bin ihnen sowieso schon unheimlich.
Buntglas
Weitere Kostenlose Bücher