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In einer anderen Welt (German Edition)

In einer anderen Welt (German Edition)

Titel: In einer anderen Welt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Walton
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Verstand verliere. Er hat ein paar Jungs daran gehindert, mich zu verprügeln, und anstatt hinterher weiterzugehen, hat er sich mit mir unterhalten. Er hat mir Bewohner der Milchstraße geliehen. Ich war damals zwölf und er fünfzehn, aber er hat mich wie ein menschliches Wesen behandelt und nicht wie einen Rotzlappen. Im Zweifel für den Angeklagten, heißt es doch.«
    »Egal, was er Ruthie angetan hat?«
    »Nein, nicht egal, was er getan hat, aber bis wir mit Sicherheit wissen, was er getan hat.« Hugh zuckte mit den Achseln und wurde wieder rot. »Ich persönlich glaube, dass sie es, na ja, dass sie es schon getan haben, und zwar, weil sie es beide wollten. Sie haben nicht richtig verhütet, und Ruthie hat Schiss bekommen und ist durchgedreht. Aber deswegen muss man niemanden in die äußeren Höllenkreise verbannen.«
    Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Mein Vater war gezwungen worden, meine Mutter zu heiraten, weil sie schwanger geworden war, und das ist auch nicht eben gutgegangen. Zum Glück kam in dem Moment der Bus um die Ecke. Hugh gab mir meine Tüte, und ich reihte mich in die Warteschlange ein.
    »Bis Dienstag«, sagte ich und stieg ein.
    Gill war direkt vor mir. Sie drehte sich um und warf mir einen zutiefst verächtlichen Blick zu.

Sonntag, 16. Dezember 1979
    Solange ich von ihnen nicht als Marionetten denke, macht es wirklich Spaß, mit ihnen zusammen zu sein. Gestern habe ich fast gar nicht daran gedacht. Die ganze Sache mit der Magie beschäftigte mich einfach nicht, und ich konnte so tun, als wären sie ein völlig natürlicher Teil meiner Karass, alle beide.
    Aber heute geht es mir wieder durch den Kopf, und ich kann nicht anders, ich muss andauernd daran denken.
    Als wir klein waren, hat uns Tantchen Lillian eine Puppe gekauft, die richtig reden konnte. Sie hieß Rosebud, und wahrscheinlich denken die Leute, eine solche Puppe wünscht sich jedes kleine Mädchen. Wenn wir sie hinlegten, schlossen sich ihre Augen, und wenn wir sie hochhoben, öffneten sie sich wieder. Sie hatte ein hübsches ausdruckloses Gesicht und ein weißes Kleid mit Rosenknospenmuster. Sie trug rosafarbene Schuhe, die man an- und ausziehen konnte, und hatte goldenes Haar, das man richtig kämmen konnte. Außerdem hatte sie eine Schnur in ihrer Brust, und wenn man daran zog, sprach sie. Zwei Dinge konnte sie sagen. »Hallo, ich heiße Rosebud« und »Lasst uns Schuuule spielen!«. Wenn man ganz langsam an der Schnur zog, sagte sie das in einer tiefen Stimme, und wenn man richtig schnell daran zog, quietschte sie los.
    Das Problem mit Rosebud und damit, dass sie richtig reden konnte, war, dass wir selbst bestimmten, was unsere anderen Puppen sagten. Unsere Puppensammlung (denen meistens irgendwas fehlte, ein Arm oder ein Bein, oder sie waren Tiere und keine Menschen) bestand epische Abenteuer, überlebte Atomkriege und rettete Drachen vor bösen Prinzessinnen. Die alte, zerbeulte Pippa mit ihrem einen Arm und den struppigen Haaren (Mor hatte sie ihr geschnitten, damit sie in die Rolle eines Soldaten schlüpfen konnte) trat dem bösen Hundeherrscher (der Plüschhund hatte einen Schnurrbart, den man zwirbeln konnte, also musste er meistens die Schurken spielen) trotzig entgegen und schwor ihm Rache, und damit konnte es Rosebud mit ihrem »Lasst uns Schuuule spielen!« nicht aufnehmen.
    Eine Karass, die aus lauter Rosebuds besteht, will ich nicht.
    Ich meine, eine Karass, die aus Pippa und Hund und Jr. besteht, will ich auch nicht, also ist das keine besonders gute Analogie. (Meine Spielsachen vermisse ich nicht. Ich würde sowieso nicht mehr mit ihnen spielen. Ich bin fünfzehn. Ich vermisse meine Kindheit .) Jr. war ein Plastikjunge auf einem Motorrad, eine unserer wenigen männlichen Puppen. Sein Name stammte aus »Lot« von Ward Moore. Ich fand es tollkühn und amerikanisch, einen solchen seltsamen Namen ohne Vokale zu haben. Wir sprachen es »Jirr« aus. Als ich herausfand, was er wirklich bedeutete, war ich minutenlang beschämt.
    Als Hugh erwähnte, dass Wim einen Abend über Delany geleitet hatte, war mein erster Gedanke, obwohl ich das gestern nicht aufgeschrieben habe, weil ich mich so sehr schämte, mein erster Gedanke war, dass ich Magie wirken könnte, um es ungeschehen zu machen. Ich könnte Magie wirken, damit er einen Delany-Abend leitet, bei dem ich dabei sein kann. Ich habe es nicht getan, und ich wollte es eigentlich auch gar nicht tun, aber ich habe daran gedacht. Wenn ich das täte, würde ich sie alle

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