In einer Familie
Falte, die über der Nasenwurzel kam und ver-
schwand, als sei es eine Idee, die nicht zum Durch-
bruch gelangen könne. Dann öffnete sich langsam
der Mantel, eine Hand bewegte sich daraus hervor,
die ein winziges Geschoß emporhob, um es tastend
auf Wellkamp zu richten. Mit dem selben Augen-
blicke, der sie diese Bewegung erkennen ließ, war
Anna bereits zum Schutze vor den Geliebten ge-
sprungen, den sie mit aller Stärke ihrer rückwärts
gebreiteten Arme umklammerte. Der Mann ver-
mochte sich nicht zu rühren, Anna erwartete den
Schuß, und es hatte noch Niemand den nächsten
Atemzug gethan, als sich die Mündung der Pistole
wendete, um eine Sekunde lang gegen Doras eigene
Schläfe gerichtet zu bleiben. Indes sollte ihr die That
erspart bleiben. Noch rechtzeitig genug hörte ihr
müdes Herz zu schlagen auf, daß ihre schlanke Ge-
stalt ohne die Verunstaltung des Selbstmordes in die
Kniee sinken konnte.
Was sie die Waffe gegen sich selbst richten ließ,
konnte gewiß ein Instinkt sein, so dunkel und uner-
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klärlich, wie derjenige, der sie hergeführt. Es wäre so
viel menschlicher und tröstlicher, wenn es ein letztes
Aufleuchten ihrer verlöschenden Seele war, das ihr
in einer deutlichen Vision die Größe und Unwider-
stehlichkeit jener Liebe offenbarte, die dort opferbe-
reit den Geliebten mit dem Leibe deckte, und gegen
die diese Waffe so unwirksam blieb wie alle andern.
Wenn sie so als letzte Erkenntnis eben das mit hin-
über nahm, was so recht den Widerspruch gegen Al-
les, woran ihr Leben gehangen, bedeutete, so mochte
dieses verfehlte Leben wohl in einem höhern Sinne
als gesühnt erscheinen, und die schöne Idee von
einer Vergebung der Sünden brauchte ihrem Ende
nicht fern zu bleiben.
Als Wellkamp aus einer längeren Betäubung zu sich
kam, fand er sich allein an dem Lager der einst Ge-
liebten. Er war mechanisch gefolgt, als man sie hin-
aufgetragen und gebettet hatte. Der Gatte war her-
beigeholt, dann war der Arzt erschienen. Es war Al-
les zu Ende, und nun erst hatte man sich seiner erin-
nert, der teilnahmslos daneben stand, und hatte ihn
da gelassen, in stiller Nachsicht mit den Beziehun-
gen, die ihn mit Dora verbunden, und die der Tod
plötzlich fast erlaubt erscheinen machte. Denn der
Triumph des Todes über alle Rechte der Lebenden
ist so vollständig, daß angesichts seiner sogar die
Schuld das Ausgeschlossene, Heimliche, das ihr an-
haftet, abzulegen wagt. Kaum allein, war er ohne Be-
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sinnung nieder gesunken, mit dem Körper gegen
den Bettrand, und als er nun zu sich kam, fühlte er in
seiner Hand eine andere, die er beim Falle ergriffen,
und ohne deren Stütze er zu Boden geschlagen wäre.
Anfangs mochte er dieser Hand seine eigene Wärme
mitgeteilt haben, nun aber hatte sie gesiegt und die
seinige bis in den Arm hinauf erkältet. Er ließ sie
dennoch nicht los; es that ihm wohl, etwas von ihrem
Tode in seinem Blute zu spüren. Er drückte sie fe-
ster, während er in der schon hereinbrechenden
Dämmerung ihre Züge erspähte, seine fiebernden
Blicke immer tiefer darein versenkte und nun seiner-
seits die Wiederbelebung ihrer gemeinsamen Ver-
gangenheit anstellte, der sie sich in ihren letzten Nö-
ten hingegeben hatte. Er sah Alles wieder vor sich,
erkannte Alles wieder bis auf längst vergessene Klei-
nigkeiten, Unterschiede in der Entwickelung seines
Gefühls, auf die er kaum Gewicht gelegt, und die
ihm nun bedeutend deuchten. Der Grund war, daß
stets erst das Ende der Dinge ihnen einen Sinn gibt.
Wer nach dem Untergange der Welt noch da wäre,
würde sie begreifen. Wellkamp ging nun sicheren
Schrittes durch das Labyrinth seiner Leidenschaften,
dem er früher zögernd, eine Beute seiner Begierde,
nachgegangen. War doch jetzt der Ausgang da, vor
seinen Augen. »Es hat Alles so sein müssen.« Dies
war der schmerzliche und doch so wohlthuend resi-
gnierte Gedanke, der jede seiner Erinnerungen be-
gleitete. Er erbebte unter den tiefinnern Schauern je-
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nes nachträglichen Fatalismus, den wir Alle kennen.
Wiederholt nicht dieses wunderliche Gefühl in be-
grenzteren Formen jene unsere Unfähigkeit, in der
Vorstellung, die wir uns von unserem Gotte machen,
über unsere menschlichen Begriffe hinaus zu greifen?
Wie wir ihn nach unserem Bilde denken, so vermö-
gen wir auch uns selbst nicht anders zu sehen, als wir
uns kennen. Wir wären uns entfremdet, wenn wir
uns anders dächten als wir sind.
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