In einer kalten Nacht: Roman (German Edition)
ist fünf Minuten durch das Wäldchen gelaufen und hat immer wieder gewartet und gelauscht, ehe er über die Leiche gestolpert ist.«
»Also können wir den genauen Todeszeitpunkt bestimmen?«, fragte Costello über die Schulter.
»Noch nicht. Der Anruf ging um 21:17 Uhr ein, aber er musste noch zur Straße gehen, bis er Empfang hatte. Die Entdeckung hat dementsprechend zehn oder fünfzehn Minuten eher stattgefunden. Ich habe ihn gebeten, morgen noch einmal herzukommen, damit wir alles rückwärts noch einmal durchspielen können. Heute Nacht wollte ich allerdings nicht noch mehr Spuren am Tatort zerstören.«
»Ich würde gern dabei sein, wenn Sie nichts dagegen haben, DS Mulholland«, sagte Anderson aalglatt. »Auch mit Mr. English würde ich mich gern unterhalten.«
»Wenn Sie glauben, das hilft Ihnen weiter. Aber es war schon richtig von mir, ihn nach Hause zu schicken. Er hatte vierzig Minuten warten müssen, bis wir ihn gefunden haben. Und hier draußen ist es minus zwölf Grad kalt.«
»Der arme Albatros, warum verzieht er sich nicht in die Arktis? Dort ist es bestimmt wärmer«, meinte Costello.
»Antarktis«, berichtigte sie Mulholland.
»Die Arktis ist genauso kalt, nur näher«, fauchte Costello.
»Hat man Sie bereits über die Identität des Opfers informiert?«, erkundigte sich Lambie leise von vorn.
»Noch nicht bestätigt«, wich Anderson aus.
»Es ist Marita«, sagte Lambie. » Die Marita. Oder Mrs. Iain Kennedy, wie sie als Privatperson heißt. Interessante Verletzungen.«
»Wir wollen das vor der Presse so lange wie möglich zurückhalten …«, sagte Mulholland von hinten, als jemand seinen Namen rief.
»Gehen Sie ruhig, ich erzähle Ihnen später alles«, sagte Anderson mit der unbekümmerten Herablassung eines Mannes, der Gehorsam gewöhnt ist, ging sofort weiter und folgte jetzt Costello, die an Lambie vorbeimarschiert war. Er war froh, weil es schneller voranging, froh, weil mit dem Blut ein bisschen Wärme in die Muskeln gepumpt wurde. Dabei dachte er, wie fit Costello in Tulliallan geworden war, denn sie war schneller als er und flog schemenhaft durch den gespenstischen Nebel. Während sie auf das Licht zuschritt, hatte sie etwas Geisterhaftes an sich.
»Warum haben Sie uns gerufen, Prof?«, fragte Costello, als sie sich dem geduckten Pathologen näherte.
»Guten Abend, DS Costello«, erwiderte O’Hare automatisch, ohne aufzuschauen. »Wie man so schön sagt, ich habe das hier gesehen und sofort an Sie gedacht. Wo ist DI Anderson?«
Costello blickte sich um. »Er ist dort hinten und unterhält sich mit Mulholland und Lambie.«
O’Hare schnaubte. »Wissen Sie, dass es Marita ist?«
»Das hat man uns gerade mitgeteilt.« Costello bückte sich und betrachtete das entsetzlich zugerichtete Gesicht. »Verflucht noch mal! Das ist sie tatsächlich!«
Marita hatte vor zwanzig Jahren die Wahl zur Miss Caledonia gewonnen, und seitdem war sie mit ihrem wechselhaften Liebesleben und ihrer konsequenten Selbstvermarktung ständig in den Schlagzeilen gewesen. Jetzt lag sie zusammengerollt auf der Seite, die Hände wie zum Gebet gefaltet, und der Dufflecoat war bis zum Hals geschlossen. Man hätte meinen können, dass sie schläft, wäre da nicht das blutige Haar gewesen. Vom unteren Teil ihres Gesichts war nur Brei geblieben. An ihrem Mund stimmte etwas nicht, er hatte gar kein Ende, er war einfach nur ein dunkles, ausgefranstes Loch. Costello bückte sich noch weiter und sah Lücken von herausgebrochenen Zähnen, tiefe Löcher, die blank lagen und bluteten, als sei ihr etwas äußerst brutal in den Mund gerammt worden. »Vom Celebrity Big Brother hierher«, sagte sie leise. »Prof, sind das die gleichen Verletzungen wie bei Whyte?«
»Sie hat eine Wunde im Mund und eine Wunde am Kopf«, antwortete O’Hare vorsichtig. »Die Verletzungen scheinen denen von Emily Corbett sehr ähnlich zu sein. Und sie stammt aus Partickhill.«
»Oh.« Das hatte Costello nicht erwartet. Sie war überrascht, wie stark es sie emotional traf. Für Emily.
Aber nun brauchte Marita sie, brauchte es, dass Costello ihre Arbeit erledigte. Sie verdrängte die Gefühle und sah die Leiche an. Das berühmte Tizianhaar war schwarz und steif vom Blut und drückte sich in den dunklen Stoff unter ihrem Kopf. Ein Hut? Ein Schal? Costello blickte sich um. Der Polizeifotograf machte seine Bilder. Irgendetwas arbeitete in ihrem Hinterkopf. Sie hätte ihm am liebsten gesagt: Nehmen Sie auf jeden Fall das hier auf. Da stimmte
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