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In einer kalten Nacht: Roman (German Edition)

In einer kalten Nacht: Roman (German Edition)

Titel: In einer kalten Nacht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Caro Ramsay
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irgendetwas nicht. Sie sah den Wollhut des Opfers, der drei Meter entfernt auf dem Schnee lag und mit einer fluoreszierenden gelben Nummer gekennzeichnet war. Natürlich würde ihnen das nicht entgehen. Sie geriet in Panik. Vielleicht hatte sie zu viel Zeit in Tulliallan verbracht und in einem Raum ohne frische Luft gestanden und Müll geredet. Jetzt musste sie alles richtig machen.
    Doch was genau?
    Sie betrachtete erneut das Opfer und sah den perlmuttfarbenen Ton des Gesichts, als die Kamera blitzte. Nun erkannte sie auch, worum es sich bei dem Stoff handelte. Ein Schal, ein dicker wunderschöner roter Schal, der mit schwarzem Blut getränkt war, lag ordentlich gefaltet unter dem Kopf der Toten und unter ihrem Hals.
    O’Hare versuchte, ihren Mund zu öffnen, und hielt dazu einen Holzspatel in den behandschuhten Händen. Er redete, aber Costello hörte nicht zu. Eigentlich könnte er das doch in seinem Labor machen, dachte sie. Und dann war da noch etwas, nach dem sie fragen musste, was sie erfahren musste, und es würde untergehen.
    Sie sah sich die Füße des Opfers an, ihre Ugg -Boots. Der eine saß ordentlich am Fuß, der andere steckte schief auf der Hacke, und das Wildleder wölbte sich auf wie eine Schlange, die zu viel gefressen hat. Die warme gefütterte Hose war in einen Stiefel gesteckt, doch zur Hälfte aus dem anderen herausgezogen – aber warum nur?
    Sie zog ihren Handschuh zurecht und versuchte nachzudenken. Allerdings strengte sie sich dabei zu sehr an.
    »Hallo! Costello? Hören Sie zu?«
    »Tut mir leid, Prof. Ich war gerade in Gedanken ganz woanders«, antwortete sie und zeigte auf den Schal. »Ist der dort drapiert worden?«
    »Eins nach dem anderen«, sagte O’Hare, drehte die Leiche vorsichtig, hielt inne und beugte sich tiefer, als würde er aufmerksam lauschen.
    »Oh Scheiße, Scheiße, Scheiße, Scheiße«, murmelte er. »Ihre Luftröhre ist verstopft. Können Sie mir das reichen, ja?« Er zeigte auf ein schwarzes Reißverschlussetui in seiner Tasche. Costello zog ihre Handschuhe aus, öffnete das Etui, das sich aufklappen ließ wie ein Buch. O’Hare suchte sich ein Skalpell heraus. Instinktiv riss sie die Folie der frischen Klinge auf, wickelte sie aus und reichte sie ihm; das hatte sie schon oft genug beobachtet. Die ganze Zeit fluchte O’Hare vor sich hin. In all den Jahren, die sie ihn schon kannte, hatte sie ihn noch nie schimpfen hören.
    »Kommen Sie her. Sie müssen sie festhalten.«
    Costello kniete sich hin und nahm vorsichtig den Kopf des Opfers in die Hände. Als sie die linke Wange berührte, spürte sie, wie der Wangenknochen unter ihren Fingern nachgab.
    »Oh Scheiße«, murmelte sie jetzt auch und schaute zu, wie der Pathologe den ersten Knebelknopf des Dufflecoat öffnete, sorgfältig das blutdurchtränkte Haar zur Seite schob und den Adamsapfel suchte. Er stach einmal und ein zweites Mal zu, dann schnitt er die Haut mit der Klinge auf. Ein leises Blubbern war zu hören.
    Er arbeitete nun wortlos weiter. Costello blickte von der Kehle hoch ins Gesicht des Pathologen … O’Hare schnitt sicher und mit Kraft.
    Es ertönte ein Laut wie das Grunzen eines Ferkels, wie Wasser, das durch ein stillgelegtes Rohr schießt. Der Schnitt sprang ein wenig auf, schloss sich wieder und ging wieder auf. O’Hares Gesicht war ihrem sehr nahe, sie hüllten einander bei jedem Atemzug mit gefrierendem Nebel ein. Sie konnte ihn riechen, die Seife, das milde Karbol.
    »Gutes Mädchen«, sagte O’Hare zu einer der Frauen oder zu beiden. »Richtig, Costello, reichen Sie mir das kleine Röhrchen, das winzige da in der Tasche vorn. Das wird erst einmal genügen.«
    Costello gab es ihm und zog vorher das Plastik ab. Mit unendlicher Vorsicht schob er den Zylinder in den Schnitt. Er beugte sich vor, hielt das Ohr ans äußere Ende und wartete auf einen warmen Luftzug. Dann seufzte er erleichtert.
    Costello versuchte, den Schmerz, weil sie auf den Hacken hockte, und die Kälte zu verdrängen. O’Hare reichte ihr einen dicken Tupfer und schob ihre Hände auf beide Seiten des Gesichts. Sie spürte, wie er über ihre Hände leicht Druck ausübte, ehe er seine zurückzog. Er sah Costello tief in die Augen, als würde ihm plötzlich deren Farbe auffallen, als wolle er sich jedes Merkmal ihres Gesichts merken. Schließlich zog er ihre Finger fort und wechselte den schmutzigen Tupfer gegen einen sauberen.
    »Der Krankenwagen ist unterwegs. Überlassen wir die Ermittlung den anderen. Die können sich bis

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