In einer kalten Nacht: Roman (German Edition)
zum Sankt-Nimmerleins-Tag um die Zuständigkeit streiten, aber wir haben einen Vorteil, der ihnen fehlt.«
»Und zwar?«
»Nur eine Kleinigkeit: das Opfer. Es fährt mit uns mit.«
Costello sah ihn fragend an.
»Ein Opfer mit einer schweren Kopfwunde und einer zweiten Wunde am Mund, die durch Einführen eines Gegenstands entstanden ist. Ähnlich wie bei Whyte, exakt gleich wie bei Emily. Soweit es diese Ermittlung betrifft, ist es der zweite Fall binnen vierundzwanzig Stunden. Ich will nur auf der sicheren Seite sein, falls die beiden Fälle in Zusammenhang stehen.«
Sein Tonfall verriet ihr, dass es ihm sehr wichtig war. »Okay«, sagte sie langsam und versuchte, ihr Herzklopfen zu ignorieren. »Darf ich Sie etwas fragen?«
»Ja?«
»Sie gehen diesmal ganz anders vor als sonst bei Ihren Toten.«
»Das, Costello, hat damit zu tun, dass sie nicht tot ist.«
»Sie wollen sie ins Western Infirmary bringen lassen?«, fragte der Sanitäter. »Wir haben aber die Anweisung, sie zum Royal Alexandra Hospital in Paisley zu bringen.«
»Ins Western Infirmary, bitte, und so schnell, wie Sie können«, beharrte O’Hare. »Ich unterschreibe auch, wenn Sie einen offiziellen Auftrag brauchen. Sagen Sie einfach über Funk Bescheid und sagen Sie ihnen, es sei meine Entscheidung.«
»Und Sie sind …?«
»Professor O’Hare.« Als der Name dem Sanitäter nichts sagte, fügte er hinzu: »Rechtsmediziner.«
Der Sanitäter blickte auf, und Costello bemerkte, wie der Fahrer sich umdrehte.
»Pathologe? Aber sie ist nicht tot.«
»Noch nicht, doch sicherlich in Kürze, wenn wir hier weiterplappern. Können wir uns endlich in Bewegung setzen? Ich weiß, welche Abteilungen wir in dem Krankenhaus haben, schaffen wir sie also vom Feld in den Wagen.« O’Hare sprach in einem Ton, der keinen Widerspruch zuließ.
Der Sanitäter nickte und begriff, dass die Abwandlung der ursprünglichen Anforderung Sinn ergab. Er betrachtete den Körper, das zerschmetterte Gesicht, die riesige Blutmenge und nickte. »Also lieber ins Western Infirmary. Bis zur Straße müssen wir sie tragen.«
»Wir sind zu viert«, sagte O’Hare. »Das schaffen wir schon bis zum Krankenwagen.«
»Ich gebe es per Funk durch, sobald wir im Wagen sind. Das wird eine Weile dauern. Verfluchter Nebel.« Der Sanitäter platzierte das Spineboard neben dem Opfer und plante, eine Matte unter sie zu legen, damit man sie anheben konnte. O’Hare sprach mit einem Beamten der Spurensicherung und erklärte, an welcher Stelle sie den Tatort betreten mussten.
Costello schaute zu, wie die Frau mit äußerster Vorsicht auf die Trage gehoben wurde, wobei der Sanitäter die ganze Zeit mit ihr sprach, während O’Hare mit seinen behandschuhten Händen den Kopf stabilisierte.
Mulholland und sein Kollege hatten sich in den Schutz eines Baums zurückgezogen. Sie schauten zu, machten jedoch keine Bemerkung, als sie einem Leichenzug gleich langsam und schweigend durch den Nebel wanderten.
Der Krankenwagen schaukelte heftig, als der Fahrer einen Gang herunterschaltete, um auf dem Eis besseren Halt zu finden. Costello hielt sich an der Stahlstange fest, mit der die Trage gesichert war, und hörte sich an, wie die Reifen durchdrehten und schließlich knirschten. Der Wagen bewegte sich mit einem Ruck vorwärts. Sie ließ die Stange ein wenig lockerer.
»Welcher Polizeiarzt hat sie denn für tot erklärt? Sollte dem das nicht aufgefallen sein?«
»Manchmal ist das gar nicht so leicht. Könnten Sie ihren Kopf zurückhalten, so stabil wie möglich? Bitte keinen Druck auf die Kopfseiten ausüben, da hat sie eine üble Fraktur. Sie hat eine Gehirnblutung.«
»Haben Sie eine Vorstellung, womit sie verletzt wurde?«
»Die Spurensicherung wird es finden, falls es sich noch am Tatort befindet. Was auch immer es ist, es muss mit Blut bedeckt sein.« O’Hare dirigierte Costellos behandschuhte Hände über den blutverschmierten Kopf. Dann begann er, den Ärmel des Dufflecoats mit einer scharfen Schere aufzuschlitzen, mit einem geraden Schnitt durch alle Schichten der Kleidung. Unter dem Dufflecoat kam eine Strickjacke zum Vorschein, dann – eigenartigerweise – ein dünnes hautfarbenes Top mit Pailletten und kleinen Steinen am Ausschnitt. Er legte ihr eine Manschette an den Arm und steckte ihr einen Clip an den Finger. Er fand eine Vene, schob die Nadel hinein, drehte einen Hahn, und Flüssigkeit begann durch einen Schlauch zu fließen. Leben träufelte in sie zurück. O’Hare öffnete
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