In einer kleinen Stad
übel reagierten, brauchten sie nur an die Kreuzung von Willow und Ford Street zu denken.
»Diese beiden Frauen hatten es darauf angelegt«, behauptete Lenny Partridge, der älteste Einwohner und das größte Klatschmaul der Stadt, als er auf den Stufen des Country-Gerichts stand, das im Westflügel des Gebäudes der Stadtverwaltung untergebracht war. »Beide verrückter als Ratten in einem abgesperrten Scheißhaus. Ihr wißt doch, daß die Cobb ihrem Mann eine Fleischgabel in den Hals gestoßen hat.« Lenny zog den Bund seiner ausgebeulten Hose hoch. »Hat ihn abgestochen wie ein Schwein. Kaum zu glauben, aber es gibt Frauen, die sind total übergeschnappt.« Er schaute zum Himmel hoch und sagte: »Und wo es heute so heiß ist, gibt es bestimmt noch mehr Stunk. Das habe ich schon öfter erlebt. Sheriff Pangborn sollte Henry Beaufort sagen, er soll den Tiger zumachen, bis das Wetter wieder normal geworden ist.«
»Von mir aus«, sagte Charlie Fortin. »Ich kann mir ein oder zwei Tage lang mein Bier beim Hemphill holen und zu Hause trinken.«
Das trug ihm Gelächter ein von dem lockeren Grüppchen von Männern, die Lenny umstanden, und einen wütenden Blick von Mr. Partridge selbst. Das Grüppchen löste sich auf. Die meisten Männer hatten zu arbeiten, obwohl Feiertag war. Schon jetzt setzten sich einige der klapprigen Laster, die vor Nan’s Luncheonette geparkt hatten, in Bewegung, um für die Papierfabriken Holz herbeizuschaffen von Sweden und Nodd’s Ridge und draußen vom Castle Lake.
2
Danforth »Buster« Keeton saß in seinem Arbeitszimmer, nur mit einer Unterhose bekleidet. Die Unterhose war feucht. Seit er am Sonntagabend kurz in sein Büro hinuntergefahren war, hatte er das Zimmer nicht verlassen. Er hatte die Akte mit den Briefen der Obersten Finanzbehörde geholt und mit nach Hause genommen. Der Vorsitzende des Stadtrates von Castle Rock ölte zum drittenmal seinen Revolver. Er hatte vor, ihn irgendwann im Laufe des Vormittags zu laden. Dann hatte er vor, seine Frau umzubringen. Dann hatte er vor, zum Gebäude der Stadtverwaltung hinunterzufahren, dieses Schwein Ridgewick zu finden (er wußte nicht, daß es Norris’ freier Tag war) und auch ihn umzubringen. Zum Schluß hatte er vor, sich in seinem Büro einzuschließen und sich selbst umzubringen. Er war zu dem Schluß gelangt, daß diese Schritte die einzige Möglichkeit boten, den Verfolgern ein für allemal zu entkommen. Nicht einmal ein Spiel, mit dem sich auf magische Weise Sieger auf der Rennbahn ermitteln ließen, konnte IHNEN Einhalt gebieten. O nein. Diese Lektion hatte er gestern gelernt, als er heimgekommen war und überall im Haus diese fürchterlichen rosa Zettel vorgefunden hatte.
Das Telefon auf dem Schreibtisch läutete. Erschrocken drückte Keeton auf den Abzug des Revolvers. Es gab ein trockenes Klicken. Wäre die Waffe geladen gewesen, hätte er eine Kugel durch die Tür seines Arbeitszimmer gejagt.
Er riß den Telefonhörer von der Gabel. »Könnt ihr mich denn nicht wenigstens eine Weile in Ruhe lassen!« schrie er wütend.
Die gelassene Stimme, die antwortete, brachte ihn sofort zum Schweigen. Es war die Stimme von Mr. Gaunt, und sie ergoß sich über Keetons wunde Seele wie lindernder Balsam.
»Wieviel Glück haben Sie gehabt mit dem Spielzeug, das ich Ihnen verkauft habe, Mr. Keeton?«
»Es hat funktioniert!« sagte Keeton. Seine Stimme klang frohlockend. Er vergaß, zumindest für den Augenblick, daß er einen anstrengenden Vormittag mit Mord und Selbstmord plante. »Ich habe bei jedem Rennen kassiert!«
»Gratuliere«, sagte Mr. Gaunt herzlich.
Keetons Gesicht bewölkte sich wieder. Seine Stimme sank auf etwas ab, das fast ein Flüstern war. »Aber – gestern – als ich heimkam...« Er stellte fest, daß er nicht weitersprechen konnte. Einen Augenblick später stellte er – zu seiner großen Verblüffung und sogar noch größeren Freude – fest, daß er es auch gar nicht brauchte.
»Sie haben entdeckt, daß SIE in Ihrem Haus waren?« fragte Mr. Gaunt.
»Ja! ja! Woher wissen Sie...«
»In der Stadt wimmelt es von IHNEN«, sagte Mr. Gaunt. »Sagte ich es Ihnen nicht schon, als wir uns das letzte Mal trafen?«
»Ja. Und...« Keeton brach plötzlich ab. Sein Gesicht verzerrte sich vor Bestürzung. »SIE könnten diese Leitung angezapft haben, ist Ihnen das klar, Mr. Gaunt? Vielleicht hören SIE in diesem Augenblick unser Gespräch mit!«
Mr. Gaunt blieb gelassen. »SIE könnten, aber SIE haben es nicht
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