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In einer kleinen Stad

In einer kleinen Stad

Titel: In einer kleinen Stad Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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das Geländer der Vortreppe und rannte blitzschnell über den Rasen zurück. Er hatte große Pläne für die zwei oder drei Stunden Dunkelheit, die von diesem Montagmorgen noch übrig waren; zu ihnen gehörten zweiundsiebzig Fotos und eine große Flasche Jergens-Handlotion.
    Die Karte sah aus wie ein großer Schmetterling, als sie von dem Briefschlitz auf den verblichenen Läufer in der Diele des Pfarrhauses flatterte. Sie landete mit der beschriebenen Seite nach oben:
    Hallo, Sie dämlicher babtistischer Rattenficker! Wir schreiben, um Ihnen zu sagen, daß ihr lieber aufhören solltet, gegen unsere Kasino-Nacht zu quatschen. Wir wollen nur ein bißchen Spaß, tun niemand weh. Aber ein paar von uns Loyalen Katholiken haben diesen babtistischen Scheiß satt. Wir wissen, daß ihr Babtisten sowieso nichts seid als ein Haufen Fotzenlecker. Und jetzt hören Sie genau zu, Reverend Steam-Boat Willy. Wenn Sie Ihre Visage nicht aus unseren Angelegenheiten raushalten, dann werden wir Sie und Ihre arschgesichtigen Freunde so ausstänkern, daß sie für immer stinken werden!
    Lassen Sie uns in Ruhe, Sie dämlicher babtistischer Rattenfikker, sonst wird es Ihnen verdammt leid tun. »Nur eine Warnung« von den
    BETROFFENEN KATHOLISCHEN MÄNNERN
VON CASTLE ROCK
    Reverend Rose entdeckte die Karte, als er im Hausrock herunterkam, um die Morgenzeitung zu holen. Seine Reaktion kann man sich vielleicht besser vorstellen als beschreiben.

10
     
    Leland Gaunt stand am Fenster des Vorderzimmers über seinem Laden, hatte die Hände hinter dem Rücken verschränkt und blickte hinaus auf die Stadt Castle Rock.
    Die Vier-Zimmer-Wohnung hinter ihm hätte in der Stadt Stirnrunzeln ausgelöst. Es war nichts darin – überhaupt nichts. Kein Bett, keinerlei Gerätschaften, kein einziger Stuhl. Die Wandschränke standen offen und waren leer. Ein paar Staubflocken wirbelten träge über teppichlose Fußböden, in einer leichten Zugluft, die in Knöchelhöhe durch die Räume wehte. Die einzige Einrichtung, die vorhanden war, waren gemütliche, karierte Fenstervorhänge. Sie waren die einzige Einrichtung, die eine Rolle spielte, weil sie das einzige waren, das von der Straße aus zu sehen war.
    Die Stadt schlief. Die Läden waren dunkel, die Häuser waren dunkel, und die einzige Bewegung auf der Main Street war das Blinklicht an der Kreuzung von Main und Laurel Street, das in trägem, gelbem Rhythmus flackerte. Er blickte mit zärtlich liebenden Augen auf die Stadt hinaus. Noch war es nicht seine Stadt, aber sie würde es bald sein. Er hatte bereits ein Pfandrecht auf sie. Sie wußten es noch nicht – aber sie würden es erfahren. Sie würden es erfahren.
    Die Gala-Eröffnung war gut, sehr gut verlaufen.
    Mr. Gaunt hielt sich für eine Art Elektriker der menschlichen Seele. In einer kleinen Stadt wie Castle Rock waren alle Sicherungskästen säuberlich nebeneinander aufgereiht. Man brauchte nur die Kästen zu öffnen und Querverbindungen herzustellen. Man schloß eine Wilma Jerzyck mit einer Nettie Cobb kurz, indem man die Drähte aus zwei anderen Sicherungskästen anschloß – sagen wir, die eines Jungen wie Brian Rusk und eines Säufers wie Hugh Priest. Auf dieselbe Art schloß man andere Leute kurz, einen Buster Keeton mit einem Norris Ridgewick, einen Frank Jewett mit einem George Nelson, einen John LaPointe mit einem Lester Pratt.
    Zu gegebener Zeit testete man einen dieser grandiosen Verdrahtungsjobs, um sich zu vergewissern, daß alles richtig funktionierte – wie er es heute getan hatte. Und dann ging man in Deckung und schickte nur hin und wieder einen Stromstoß durch die Leitungen, damit es nicht zu langweilig wurde. Damit die Drähte heiß blieben. Aber die meiste Zeit blieb man in Deckung, bis alles erledigt war – und dann schaltete man den Strom ein.
    Den vollen Strom.
    Auf einmal und ganz plötzlich.
    Alles, was man dazu brauchte, war Verständnis für die Natur des Menschen, und...
    »Natürlich ist es im Grunde eine Frage von Angebot und Nachfrage«, murmelte Mr. Gaunt und blickte hinaus auf die schlafende Stadt.
    Und warum? Nun – einfach so. Einfach so.
    Menschen dachten immer an ihre Seelen, und natürlich würde er so viele wie möglich mitnehmen, wenn er den Laden schloß; sie waren für Leland Gaunt, was für den Jäger Trophäen waren und ausgestopfte Fische für den Angler. Im praktischen Sinne waren sie heute nicht mehr viel wert für ihn, aber er sackte immer noch so viele ein, wie er erwischen konnte, ungeachtet

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