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In einer kleinen Stad

In einer kleinen Stad

Titel: In einer kleinen Stad Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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ihn.
    »Lassen Sie das«, sagte Mr. Gaunt. »Sie sehen aus wie ein Fisch in einem Aquarium.«
    Ace betrachtete das Buch in seiner Hand. Er legte es auf den Tresen und durchblätterte die in einer kleinen Schrift eng bedruckten Seiten. Und dann fiel etwas heraus. Es war ein großes Stück braunes Papier, unregelmäßig zusammengefaltet, und er erkannte es sofort – es war aus einer der Tragetaschen von Hemphill’s Market herausgerissen worden. Wie oft hatte er als kleiner Junge beobachtet, daß sein Onkel ein Stück braunes Papier von einer der Taschen abriß, die er unter seiner uralten Tokeheim-Registrierkasse aufbewahrte? Wie oft hatte er beobachtet, wie er Zahlen auf einen solchen Fetzen addierte – oder einen Schuldschein darauf schrieb?
    Er entfaltete es mit zitternden Händen.
    Es war eine Karte, soviel war klar, aber zuerst konnte er nicht das geringste damit anfangen – es war nur ein Haufen Linien und Kreuze und schnörkelige Kreise.
    »Was zum Teufel soll das bedeuten?«
    »Sie brauchen etwas, das Ihre Konzentration fördert, das ist alles«, sagte Mr. Gaunt. »Dies könnte helfen.«
    Ace schaute auf. Mr. Gaunt hatte einen kleinen Spiegel in dekorativem Silberrahmen auf die Vitrine neben seiner Registrierkasse gelegt. Jetzt öffnete er den anderen Umschlag, den er aus der verschlossenen Schublade geholt hatte, und schüttete eine großzügig bemessene Menge Kokain auf den Spiegel. Für Ace’s nicht ungeschultes Auge sah es aus wie Stoff von unwahrscheinlich guter Qualität; der Punktstrahler über der Vitrine zauberte Tausende von Fünkchen aus den sauberen Flocken.
    »Jesus, Mister!« Ace’s Nase begann erwartungsvoll zu kribbeln. »Ist das kolumbianisches?«
    »Nein, das ist eine Spezialmischung«, sagte Mr. Gaunt. »Sie kommt von den Ebenen von Leng.« Er holte einen goldenen Brieföffner aus der Innentasche seines rehfarbenen Jacketts und verteilte das Häufchen Stoff in lange, rundliche Linien.
    »Wo liegt das?«
    »Hinter den Bergen und weit weg«, erwiderte Mr. Gaunt, ohne aufzusehen. »Stellen Sie keine Fragen, Ace. Männer, die anderen Geld schulden, tun gut daran, die guten Dinge, die ihnen begegnen, einfach zu genießen.«
    Er steckte den Brieföffner wieder weg und zog ein kurzes Glasröhrchen aus derselben Tasche. Er gab es Ace. »Bedienen Sie sich.«
    Das Röhrchen war erstaunlich schwer – offenbar war es nicht aus Glas, sondern aus irgendeiner Art Bleikristall. Er beugte sich über den Spiegel, dann zögerte er. Was war, wenn der alte Kerl AIDS hatte oder etwas dergleichen?
    Stellen Sie keine Fragen, Ace. Männer, die anderen Geld schulden, tun gut daran, die guten Dinge, die ihnen begegnen, einfach zu genießen.
    »Amen«, sagte Ace und zog hoch. Sein Kopf füllte sich mit dem vagen Bananen-Zitronen-Geschmack, den wirklich gutes Kokain immer mit zu bringen schien. Es war mild, aber es war auch stark. Er spürte, wie sein Herz zu hämmern begann. Gleichzeitig schärfte sich sein Denkvermögen. Er erinnerte sich an das, was ihm einmal ein Mann gesagt hatte, nicht lange, nachdem er sich in dieses Zeug verliebt hatte. Die Dinge haben mehr Namen, wenn du voll bist. Wesentlich mehr Namen.
    Damals hatte er das nicht verstanden, aber jetzt glaubte er es zu verstehen.
    Er bot Gaunt das Glasröhrchen an, doch der schüttelte den Kopf. »Niemals vor fünf«, sagte er, »aber Sie können sich gern bedienen.«
    »Danke«, sagte Ace.
    Er schaute wieder auf die Karte und stellte fest, daß er sie jetzt mühelos lesen konnte. Die beiden parallelen Linien mit dem X dazwischen standen ganz offensichtlich für die Tin Bridge, und sobald man das erst einmal begriffen hatte, ergab sich alles andere von selbst. Die Schlangenlinie, die zwischen den Linien und durch das X hindurch bis an die Oberkante der Karte führte, war die Route 117. Bei dem kleinen Kreis mit dem größeren Kreis dahinter mußte es sich um die Meierei der Gavineaux handeln; der große Kreis stand für den Kuhstall. Alles ergab einen Sinn. Es war so klar und sauber und funkelnd wie das prächtige Häufchen Stoff, das dieser unglaublich irre Typ aus dem kleinen Umschlag herausgeschüttet hatte.
    Ace beugte sich wieder über den Spiegel. »Feuer frei«, murmelte er und zog weitere zwei Linien ein. Bang! Zap! »Himmel, ist das ein toller Stoff!« sagte er mit keuchender Stimme.
    »So ist es«, pflichtete Mr. Gaunt ihm bei.
    Ace schaute auf, plötzlich ganz sicher, daß der Mann ihn auslachte, aber Mr. Gaunts Gesicht war gelassen, und er

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