In einer kleinen Stad
meiner untergebracht ist. Ich erwarte Sie bis spätestens Mitternacht zurück. Ich glaube sogar, daß Sie wesentlich früher wieder hier sein werden. Mein Wagen ist bedeutend schneller, als er aussieht.«
Er lächelte und entblößte seine sämtlichen Zähne.
Ace versuchte es noch einmal.
»Hören Sie, Mr....«
»Gaunt.«
Ace nickte, und sein Kopf tanzte auf und ab wie der einer laienhaft geführten Marionette. »Unter anderen Umständen würde ich Ihr Angebot annehmen. Sie sind – interessant.« Das war nicht das Wort, das er gesucht hatte, aber es war das beste, das seine Zunge im Moment hergab. »Aber Sie haben recht – ich stecke tatsächlich in der Klemme, und wenn ich nicht in den nächsten zwei Wochen einen großen Haufen Geld auftreibe, dann...«
»Und wie wäre es mit dem Buch?« fragte Mr. Gaunt. Sein Tonfall war amüsiert und vorwurfsvoll zugleich. »Sind Sie nicht deshalb hereingekommen?«
»Es ist nicht, was ich...«
Er stellte fest, daß er es noch immer in der Hand hielt und schaute abermals darauf. Das Bild war das gleiche, aber der Titel hatte sich wieder in den verwandelt, den er im Schaufenster gelesen hatte: Lost and Buried Treasures of New England von Reginald Merrill.
»Was ist das?« fragte er mit schwerer Zunge. Aber plötzlich wußte er es. Er war überhaupt nicht in Castle Rock; er war daheim in Mechanic Falls, lag auf seinem schmutzigen Bett und träumte dies alles.
»Für mich sieht es aus wie ein Buch«, sagte Mr. Gaunt. »Und hat Ihr verstorbener Onkel nicht Reginald Merrill geheißen? Was für ein Zufall.«
»Mein Onkel hat in seinem ganzen Leben nichts anderes geschrieben als Schuldscheine und Quittungen«, sagte Ace mit der gleichen schwerfälligen, schläfrigen Stimme. Er schaute wieder zu Gaunt auf und stellte fest, daß er den Blick nicht abwenden konnte. Gaunts Augen wechselten nach wie vor die Farbe. Blau – grau – haselnußbraun – dunkelbraun – schwarz.
»Nun«, gab Mr. Gaunt zu, »vielleicht ist der Name auf dem Buch ein Pseudonym. Vielleicht habe ich es selbst geschrieben.«
»Sie?«
Mr. Gaunt legte die Fingerspitzen unter dem Kinn zusammen. »Vielleicht ist es überhaupt kein Buch. Vielleicht sind all die Sachen, die ich verkaufe, überhaupt nicht das, was sie zu sein scheinen. Vielleicht sind es in Wirklichkeit einfach graue Dinge mit nur einer bemerkenswerten Besonderheit – der Fähigkeit, die Formen derjenigen Dinge anzunehmen, die Männer und Frauen in ihren Träumen verfolgen.« Er hielt einen Moment inne, dann setzte er nachdenklich hinzu: »Vielleicht sind sie selbst nur Träume.«
»Ich verstehe kein Wort.« Gaunt lächelte. »Ich weiß. Und es spielt auch keine Rolle. Wenn Ihr Onkel ein Buch geschrieben hätte – wäre es dann nicht eines über vergrabene Schätze gewesen? Würden Sie nicht sagen, daß Schätze – ob in der Erde vergraben oder in den Taschen seiner Mitmenschen – ein Thema waren, das ihn faszinierte?«
»Von Geld konnte er nicht genug bekommen«, sagte Ace bitter.
»Und was ist damit passiert?« rief Mr. Gaunt. »Hat er Ihnen ein Teil davon vermacht? Bestimmt hat er das getan; sind Sie nicht sein einziger überlebender Verwandter?«
»Er hat mir nicht einen roten Heller hinterlassen!« schrie Ace wütend. »Jedermann in der Stadt sagte, der alte Mistkerl besäße noch den ersten Groschen, den er eingesackt hatte. Aber als er starb, waren nicht einmal viertausend Dollar auf seinem Konto. Das reichte gerade aus, um ihn zu begraben und das Chaos aufzuräumen, das er hinterlassen hat. Und wissen Sie, was man gefunden hat, als man sein Schließfach öffnete?«
»Ja«, sagte Mr. Gaunt, und obwohl sein Mund ernst war – und sogar mitfühlend – lachten seine Augen. »Rabattmarken. Sechs Alben mit Plaid-Marken und vierzehn mit Gold Bond-Marken.«
»Genau!« sagte Ace. Er blickte haßerfüllt auf Lost and Buried Treasures of New England herab. Im Augenblick war er zu wütend, um nervös zu sein oder sich in Träume zu verlieren. »Und wissen Sie was? Man kann Gold Bond-Marken nicht einmal mehr einlösen. Die Firma existiert nicht mehr. Jedermann in Castle Rock hatte Angst vor ihm – sogar ich hatte ein bißchen Angst vor ihm -, und alle Leute glaubten, er schwämme in Geld, aber als er starb, war er pleite.«
»Vielleicht hat er den Banken nicht getraut«, sagte Mr. Gaunt. »Vielleicht hat er seinen Schatz vergraben. Halten Sie das für möglich, Ace?«
Ace öffnete den Mund. Schloß ihn wieder. Öffnete ihn. Schloß
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