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In einer kleinen Stad

In einer kleinen Stad

Titel: In einer kleinen Stad Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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gar nicht so abwegig...
    »Ich fühle mich so grauenhaft!« weinte Sally. » So beschmutzt! «
    »Natürlich tust du das«, sagte Irene und fuhr fort, sie zu wiegen und ihr übers Haar zu streichen. »Hast du den Brief und das Foto noch?«
    »Ich habe sie verbrannt!« schrie Sally gegen Irenes feuchten Busen, und dann trug ein neuer Sturm von Schmerz und Kummer sie davon.
    »Natürlich hast du das getan«, murmelte Irene. »Das war das einzig Richtige.« Aber du hättest wenigstens damit warten können, dachte sie, bis ich einen Blick darauf werfen konnte, du Heulsuse.
    Sally verbrachte die Nacht in Irenes Gästezimmer, aber sie schlief fast überhaupt nicht. Ihre Tränen versiegten schließlich, und sie starrte fast die ganze Nacht hindurch trockenen Auges in die Dunkelheit und gab sich jenen dunklen und bitter befriedigenden Rachephantasien hin, zu denen nur ein sitzengelassenes Mädchen imstande ist, das zuvor in einem Zustand völliger Selbstsicherheit gelebt hat.

Fünfzehntes Kapitel
     

1
     
    Mr. Gaunts erster »Nur auf Verabredung«-Kunde erschien prompt am Dienstagmorgen um acht Uhr. Es war Lucille Denham, eine der Kellnerinnen in Nan’s Luncheonette. Lucille war beim Anblick der schwarzen Perlen in einer der Vitrinen von Needful Things von einem tiefen, hoffnungslosen Verlangen ergriffen worden. Sie wußte, daß sie nie etwas derart Kostbares würde kaufen können, selbst in einer Million Jahre nicht. Nicht bei dem Lohn, den die knauserige Nan Roberts ihr zahlte. Dennoch hatte sich Lucille, als Mr. Gaunt vorschlug, darüber zu reden, ohne daß ihnen dabei die halbe Stadt über die Schulter schaute, auf den Vorschlag gestürzt wie ein hungriger Fisch auf einen verlockenden Köder.
    Sie verließ Needful Things zwanzig Minuten nach acht mit einem Ausdruck benommener, verträumter Seligkeit. Sie hatte die schwarzen Perlen für den unglaublichen Preis von achtunddreißig Dollar und fünfzig Cents gekauft. Außerdem hatte sie versprochen, diesem aufgeblasenen baptistischen Prediger William Rose einen kleinen, harmlosen Streich zu spielen.
    Das würde, soweit es Lucille anging, das reinste Vergnügen sein. Dieser ständig mit Bibelsprüchen um sich werfende Widerling hatte ihr noch nie ein Trinkgeld gegeben, nicht einmal lausige zehn Cents. Lucille (eine gute Methodistin, der es nicht das geringste ausmachte, am Samstagabend zu heißer Musik das Tanzbein zu schwingen) hatte gehört, daß man seinen Lohn dereinst im Himmel bekommen würde; und sie fragte sich, ob Reverend Rose jemals gehört hatte, daß Geben seliger ist denn Nehmen.
    Nun, sie würde ihm ein bißchen davon heimzahlen – und es war wirklich ganz harmlos. Das hatte Mr. Gaunt gesagt.
    Mr. Gaunt schaute ihr mit einem freundlichen Lächeln nach. Er hatte einen arbeitsreichen Tag vor sich, einen überaus arbeitsreichen Tag, mit Verabredungen alle halbe Stunde und einer ganzen Reihe von Telefonaten. Der Jahrmarkt stand; nun war der Zeitpunkt, alle Attraktionen gleichzeitig zu starten, nicht mehr fern. Wie immer, wenn er an diesem Punkt angelangt war, ob im Libanon, in Ankara, den westlichen Provinzen Kanadas oder hier in diesem verschlafenen Nest in den Vereinigten Staaten, hatte er das Gefühl, daß der Tag einfach nicht genug Stunden hätte. Aber man tat, was man konnte, denn geschäftige Hände waren glückliche Hände, und schon das Bemühen an sich war lobenswert, und...
    ... und wenn seine alten Augen ihn nicht täuschten, eilte gerade jetzt die zweite Kundin des Tages, Yvette Gendron, auf die Markise über seinem Laden zu.
    »Ein arbeitsreicher Tag«, murmelte Mr. Gaunt und setzte ein strahlendes Begrüßungslächeln auf.

2
     
    Alan Pangborn traf um halb neun in seinem Büro ein und fand dort eine an sein Telefon geheftete Notiz vor. Henry Payton von der Staatspolizei hatte um 7.45 Uhr angerufen. Er bat Alan um Rückruf auf der Amtsleitung. Alan ließ sich in seinen Stuhl nieder, klemmte den Hörer zwischen Ohr und Schulter und drückte auf den Knopf, der ihn automatisch mit dem Revier in Oxford verband. Aus der obersten Schublade seines Schreibtisches holte er vier Silberdollars.
    »Hallo, Alan«, sagte Henry. »Ich fürchte, ich habe ein paar schlechte Neuigkeiten über Ihren Doppelmord.«
    »Ach, auf einmal ist es mein Doppelmord«, sagte Alan. Er schloß die Faust um die vier Münzen, drückte und öffnete die Hand wieder. Jetzt waren nur noch drei Münzen da. Er lehnte sich in seinem Stuhl zurück und deponierte die Füße auf seinem

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