Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
In einer kleinen Stad

In einer kleinen Stad

Titel: In einer kleinen Stad Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
Vom Netzwerk:
der Welt, dessen gute Meinung sie wünschte und brauchte.
    Aber das war noch nicht alles. Das war nicht einmal der größte Teil davon. Der größte Teil davon war Stolz gewesen – verletzter, empörter, pochender, aufgeblähter, bösartiger Stolz. Stolz, die Münze, ohne die ihr Geldbeutel völlig leer gewesen wäre. Sie hatte es geglaubt, weil sie in einer Panik aus Schaum gewesen war, einer aus Stolz geborenen Scham.
    Ich habe gern mit Damen zu tun, die stolz sind auf sich selbst.
    Eine entsetzliche Schmerzwelle brandete in ihren Händen auf; Polly stöhnte und hob sie vor die Brust.
    Es ist noch nicht zu spät, Polly , sagte Mr. Gaunt leise. Selbst jetzt ist es noch nicht zu spät.
    »Oh, scheiß auf den Stolz!« schrie Polly plötzlich in die Dunkelheit ihres stickigen Schlafzimmers und riß sich das azka vom Hals. Sie hielt es hoch über ihren Kopf in der geballten Faust, die feine Silberkette peitschte wild, und sie spürte, wie die Oberfläche des Amuletts in ihrer Hand einknickte wie eine Eierschale. » SCHEISS AUF DEN STOLZ!«
    Sofort krallten sich die Schmerzen ihren Weg in ihre Hände wie ein kleines, hungriges Tier – aber sie wußte schon in diesem Moment, daß die Schmerzen nicht so schlimm waren, wie sie befürchtet hatte; bei weitem nicht so schlimm, wie sie befürchtet hatte. Sie wußte es ebenso sicher, wie sie wußte, daß Alan nie an Child Welfare in San Francisco geschrieben und Fragen über sie gestellt hatte.
    »SCHEISS AUF DEN STOLZ! SCHEISS DRAUF! SCHEISS DRAUF! SCHEISS DARAUF!« schrie sie und schleuderte das azka quer durchs Zimmer.
    Es prallte gegen die Wand, landete auf dem Fußboden und brach auf. Ein Blitz zuckte auf, und sie sah, daß sich durch einen Spalt zwei haarige Beine hindurchschoben. Der Spalt wurde breiter, und was herauskroch, war eine kleine Spinne. Sie lief zum Badezimmer hinüber. Wieder zuckte ein Blitz auf und warf ihren Schatten auf den Fußboden wie eine elektrische Tätowierung.
    Polly sprang aus dem Bett und verfolgte sie. Sie mußte sie töten, und zwar schnell – denn die Spinne schwoll zusehends an. Sie hatte sich von dem Gift genährt, das sie aus ihrem Körper gesaugt hatte, und jetzt, da sie frei war von ihrem Behältnis, ließ sich unmöglich sagen, wie groß sie werden mochte.
    Sie hieb auf den Lichtschalter im Badezimmer, und die Leuchtstoffröhre über dem Waschbecken flackerte auf. Sie sah, wie die Spinne auf die Badewanne zutrippelte. Als sie durch die Türöffnung gelaufen war, war sie nicht größer gewesen als ein Käfer. Jetzt hatte sie die Größe einer Maus.
    Als sie hereinkam, drehte sich die Spinne um und lief auf sie zu – dieses grauenhafte klickende Geräusch ihrer auf die Fliesen hämmernden Füße -, und Polly hatte Zeit zu denken: sie lag zwischen meinen Brüsten, sie lag auf MEINER HAUT, die ganze Zeit hat sie auf MEINER HAUT gelegen...
    Ihr Körper war borstig und schwärzlichbraun. Winzige Haare standen von den Beinen ab. Augen, so dumpf wie unechte Rubine, starrten sie an – und sie sah, daß zwei Reißzähne aus ihrem Maul herausragten wie die Zähne eines Vampirs. Eine klare Flüssigkeit tropfte von ihnen herab. Wo die Tropfen auf die Fliesen trafen, hinterließen sie kleine, rauchende Krater.
    Polly schrie auf und ergriff den Pumpfix, der neben der Toilette stand. Ihre Hände erwiderten den Schrei, aber sie schloß sie trotzdem um den Holzgriff und hieb mit dem Pumpfix auf die Spinne ein. Sie wich zurück; eines ihrer Beine war gebrochen und hing nutzlos herab. Sie eilte auf die Badewanne zu, und Polly verfolgte sie.
    Trotz ihrer Verletzung wuchs sie noch immer. Jetzt hatte sie die Größe einer Ratte. Ihr aufgequollener Hinterleib schleifte über die Fliesen; doch jetzt kletterte sie mit unheimlicher Behendigkeit am Duschvorhang empor. Ihre Beine erzeugten auf dem Plastik ein Geräusch wie anprasselnde Wassertröpfchen. Die Ringe an der Stahlstange, an denen der Vorhang hing, klirrten.
    Polly schwang den Pumpfix wie einen Baseballschläger, der schwere Gummibecher sauste durch die Luft und traf abermals das gräßliche Ding. Der Gummibecher deckte eine große Fläche ab, war aber, wo er auftraf, nicht sehr wirkungsvoll. Der Duschvorhang wölbte sich nach innen, und die Spinne landete mit einem fleischigen Aufprall in der Badewanne.
    In diesem Augenblick ging das Licht aus.
    Polly stand mit dem Pumpfix in der Hand im Dunkeln und lauschte dem Getrippel der Spinnenbeine. Dann flammte wieder ein Blitz auf, und sie konnte ihren

Weitere Kostenlose Bücher