In einer kleinen Stad
als der geborstene Benzintank explodierte. Das setzte Alan mehr zu als alles andere. Daß sein zehnjähriger Sohn, der scherzhafte Horoskope für die Schulzeitung schrieb und ein Fan der Little League war, möglicherweise bei lebendigem Leibe verbrannt war, während er versuchte, den Verschluß seines Sicherheitsgurtes zu öffnen.
Eine Autopsie hatte stattgefunden. Bei der Autopsie wurde der Gehirntumor entdeckt. Es war, wie Ray Van Allen ihm sagte, ein kleiner Tumor. Ungefähr so groß wie eine Erdnußhülse, wie er es ausdrückte. Ray sagte Alan nicht, daß er operabel gewesen wäre, wenn man ihn erkannt hätte; das war eine Information, die Rays unglückliches Gesicht und seine niedergeschlagenen Augen Alan vermittelten. Ray sagte ihm nur, er glaubte, daß sie schließlich den Krampfanfall erlitten hätte, der sie, wenn er früher gekommen wäre, auf die wahre Natur des Problems hingewiesen hätte. Er hätte auf ihren Körper gewirkt wie ein starker Elektroschock und zur Folge gehabt, daß sie den Fuß aufs Gaspedal rammte und die Kontrolle verlor. Er erzählte Alan dies alles nicht aus freien Stücken, sondern nur, weil Alan ihn erbarmungslos fragte, und weil Van Allen erkannte, daß Alan trotz seines Kummers die Wahrheit erfahren wollte – zumindest so viel, wie er oder sonst jemand, der an diesem Tag nicht in dem Wagen gesessen hatte, wissen konnte. »Bitte«, hatte Van Allen gesagt und dabei kurz und mitfühlend Alans Hand berührt. »Es war ein grauenhafter Unfall, aber das ist alles, was es war. Sie müssen es dabei bewenden lassen. Sie haben noch einen Sohn, und der braucht Sie so sehr, wie Sie ihn brauchen. Sie müssen es dabei bewenden lassen und sich wieder um Ihren täglichen Kram kümmern.« Er hatte es versucht. Der irrationale Horror und die Geschichte mit Thad Beaumont, die Geschichte mit
(Sperlinge die Sperlinge fliegen)
den Vögeln verblaßte allmählich, und er hatte ehrlich versucht, sein Leben wieder in die Hand zu bekommen – Witwer, Kleinstadtpolizist, Vater eines Teenagers, eines Jungen, der zu schnell erwachsen wurde und sich ihm zu schnell entfremdete – nicht wegen Polly, sondern wegen des Unfalls. Wegen dieses gräßlichen, lähmenden Traumas: Mein Junge, es ist etwas Furchtbares passiert; du mußt jetzt sehr tapfer sein ... Und dann hatte er natürlich angefangen zu weinen, und wenig später hatte auch Al geweint.
Dennoch hatten sie sich an die Arbeit des Wiederaufbaus gemacht, und sie waren nach wie vor damit beschäftigt. Inzwischen war es besser geworden – aber zwei Dinge weigerten sich, zu verschwinden.
Das eine war das große Glas mit den Kapseln, das nach einer Woche leer gewesen war.
Das andere war die Tatsache, daß Annie nicht angeschnallt gewesen war.
Aber Annie schnallte sich immer an.
Nach drei Wochen qualvoller, schlafloser Nächte hatte er sich schließlich doch noch von einem Neurologen in Portland einen Termin geben lassen, wobei er an gestohlene Pferde und die erst hinterher verschlossene Stalltür denken mußte. Er fuhr hin, weil dieser Mann vielleicht bessere Antworten auf die Fragen geben konnte, die Alan stellen mußte, und weil er es satt hatte, Antworten aus Ray Van Allen mit einem Flaschenzug herauszuzerren. Der Name des Arztes war Scopes, und zum erstenmal in seinem Leben versteckte sich Alan hinter seinem Beruf; er erklärte Scopes, seine Fragen stünden in Zusammenhang mit einer polizeilichen Ermittlung. Der Arzt bestätigte Alans ärgsten Verdacht: ja, Leute mit Gehirntumoren litten manchmal unter irrationalen Ausbrüchen, und gelegentlich begingen sie auch Selbstmord. Wenn eine Person mit einem Gehirntumor Selbstmord beging, sagte Scopes, erfolgte die Tat oft aus einem Impuls heraus, nach einer Periode des Überlegens, die vielleicht nur eine Minute oder auch nur Sekunden dauerte.
War es denkbar, daß eine solche Person einen anderen Menschen mitnahm? fragte Alan.
Scopes saß hinter seinem Schreibtisch, auf seinem Stuhl zurückgelehnt mit hinter dem Kopf verschränkten Händen, und konnte Alans eigene Hände nicht sehen, die er zwischen den Knien so fest ineinander verschlungen hatte, daß die Finger leichenblaß waren. O ja, sagte Scopes. Das wäre in solchen Fällen nicht ungewöhnlich; Tumoren am Hirnstamm hätten oft Verhaltensweisen zur Folge, die der Laie für psychotisch halten konnte. Eine davon war die Schlußfolgerung, daß die Qualen, die der Leidende empfindet, Qualen sind, die entweder seine Angehörigen oder das ganze
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