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In einer Person

In einer Person

Titel: In einer Person Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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selber scharf drauf zu erfahren, was drinsteht«, versicherte mir Gerry.
    »Wahrscheinlich irgendwas Delikates, was sie unter der Decke halten
wollen«, warnte ich sie.
    »Ha!«, rief Gerry. »Nichts, was ich in die Finger kriege, bleibt
lange unter der Decke!«
    Als ich diesen Spruch Elaine weitersagte, bemerkte meine liebe
Freundin: »Schon von der Vorstellung, mit Gerry ins Bett zu gehen, wird mir
übel.«
    Mir auch, wäre mir fast herausgerutscht. Aber das sagte ich nicht.
Ich hielt meine sexuellen Aussichten für neblig trüb; wie meine Zukunft im Bett
aussehen würde, war mir vollkommen unklar. »Sexuelles Begehren richtet sich in
der Regel auf ein ziemlich bestimmtes Ziel«, sagte ich zu Elaine, »und ist
normalweise ziemlich eindeutig, oder?«
    »Wahrscheinlich schon«, antwortete Elaine. »Was willst du damit
sagen?«
    »Dass meine sexuellen Wünsche in der Vergangenheit sehr zielgerichtet
waren – zu wem und was ich mich hingezogen fühlte, war immer ziemlich klar,
ziemlich eindeutig«, erklärte ich ihr. »Aber offenbar ändert sich das alles.
Zum Beispiel deine Brüste – sie sind ein Ziel meines
Begehrens, [400]  weil es deine sind, nicht weil sie klein sind. Diese dunklen
Stellen«, versuchte ich ihr zu sagen.
    »Die Warzenhöfe«, sagte Elaine.
    »Ja, ich mag diese Stellen. Und dich
küssen – ich küss dich unheimlich gern«, beteuerte ich.
    »Meine Güte – warum rückst du gerade jetzt damit raus, Billy?«,
fragte Elaine.
    »Ich weiß es erst jetzt – ich ändere mich,
Elaine, aber ich weiß einfach nicht, wie «, sagte ich.
Ȇbrigens, ob du mir wohl noch einen BH von dir
geben könntest – meine Mutter hat den alten kurz und klein geschnitten.«
    »Ach, echt?«, rief Elaine.
    »Vielleicht hast du einen, aus dem du rausgewachsen bist oder den du
einfach satthast«, sagte ich.
    »Mein doofer Busen ist kaum gewachsen, nicht mal, als ich schwanger
war«, verriet sie mir. »Jetzt muss er wohl ausgewachsen sein. Du kannst so
viele von meinen BH s haben, wie du willst«, sagte
Elaine.
    Nach Weihnachten waren wir eines Abends in meinem Zimmer – natürlich
bei offener Tür. Unsere Eltern waren zusammen in Ezra Falls ins Kino gegangen;
sie hatten uns gefragt, ob wir mitkommen wollten, aber wir hatten abgelehnt.
Elaine hatte gerade angefangen, mich zu küssen, und ich streichelte ihre Brüste – eine hatte ich aus dem BH herausbekommen –, als
jemand gegen die Wohnungstür hämmerte.
    »Mach die Scheiß-Tür auf, Billy!«, rief meine Cousine Gerry. »Ich weiß,
dass deine Eltern und die Hadleys im Kino sind – meine arschgesichtigen Eltern
sind mitgefahren!«
    [401]  »Du lieber Himmel – es ist dieses schreckliche Mädchen!«,
flüsterte Elaine. »Wetten, sie hat das Jahrbuch.«
    Gerry hatte nicht lange gebraucht, um die 1940er Eule zu finden. Auch wenn Onkel Bob sie aus der Academy-Bibliothek entliehen hatte,
fand Gerry sie doch auf der Seite ihrer Mutter unter dem Bett. Zweifellos hatte
meine Tante Muriel beabsichtigt, das Jahrbuch dieses Abschlussjahrgangs von mir
fernzuhalten, oder vielleicht hatten Muriel und meine Mutter die Idee gemeinsam
ausgeheckt. Onkel Bob führte nur die Anweisungen dieser Winthrop-Frauen aus
(Miss Frost zufolge war er ja schon immer ein Weichei gewesen, sogar bevor Muriel ihn weichgekocht hatte).
    »Keine Ahnung, was das Ganze soll«, sagte Gerry, als sie mir das
Jahrbuch reichte. »Dann ist es halt der Abgangsjahrgang von deinem ausgebüxten
Vater – na und, scheiß der Hund drauf!«
    »Mein Vater war auf Favorite River?«, fragte ich Gerry. Ich hatte
gewusste, dass William Francis Dean mit fünfzehn nach Harvard gekommen war,
aber niemand hatte mir verraten, dass er davor Favorite River besucht hatte.
»Dann muss er meine Mutter hier in First Sister kennengelernt haben!«, stellte
ich fest.
    »Na und, scheiß drauf!«, sagte Gerry. »Wer
will denn schon wissen, wo sie sich kennengelernt haben?«
    Aber meine Mutter war älter als mein Vater, was bedeutete, dass
William Francis Dean bei ihrer ersten Begegnung sogar noch jünger gewesen sein
musste. Wenn er 1940 die Favorite River abgeschlossen – und mit gerade mal
fünfzehn im darauffolgenden Herbst sein Harvard-Studium aufgenommen hatte –,
konnte er ohne weiteres erst zwölf [402]  oder dreizehn gewesen sein, als sie sich
kennenlernten. Womöglich noch in der Vorpubertät!
    »Na und, scheiß drauf«, sagte Gerry
erneut. Offensichtlich hatte sie sich das Jahrbuch nicht genauer angesehen und
auch nicht die

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