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In einer Person

In einer Person

Titel: In einer Person Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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früheren Jahrbücher (1937, 1938, 1939), in denen es Fotos von
William Francis Dean im zarten Alter von zwölf, dreizehn und vierzehn Jahren
geben mochte. Wieso hatte ich ihn übersehen? Wenn William Francis 1940 in
seinem vierten und letzten Academy-Schuljahr war, konnte er im Herbst 1936 dort
angefangen haben – mit elf Jahren!
    Und wenn meine Mutter ihn damals, als Elfjährigen, kennengelernt
hatte? Ihre tatsächliche »Liebesaffäre« müsste dann aber ganz anders gewesen
sein, als ich sie mir vorgestellt hatte.
    »Hast du irgendwas von dem angeblichen Frauenhelden an ihm
entdeckt?«, fragte ich Gerry, während Elaine und ich rasch die Porträtaufnahmen
der Schüler des Abschlussjahrgangs 1940 überflogen.
    »Wer hat behauptet, dass er ein Frauenheld war?«, fragte Gerry zurück.
    »Na du doch, oder?«, sagte ich. »Oder
vielleicht war es was, was du von deiner Mutter über ihn aufgeschnappt hast.«
    »An das Wort Frauenheld kann ich mich
nicht erinnern«, sagte Gerry. »Ich hab nur über ihn gehört, dass er irgendwie
tuntig war.«
    »Tuntig«, wiederholte ich.
    »Du lieber Himmel – das Wiederholen, Billy. Du musst damit
aufhören«, sagte Elaine.
    »Er war doch kein Schwuler !«, sagte ich
empört [403]  »Sondern ein Frauenheld – meine Mom hat ihn dabei erwischt, wie er
eine andere Person geküsst hat!«
    »Jaaa – einen anderen Jungen vielleicht«,
sagte meine Cousine Gerry gedehnt. »Jedenfalls hab ich genau das gehört, und
wenn du mich fragst, der sieht einwandfrei nach ’ner Schwuchtel aus.«
    »Nach ’ner Schwuchtel !«, rief ich aus.
    »Mein Dad hat gesagt, dein Dad war ein so stockschwuler Typ, wie er
nur je einen gesehen hat«, sagte Gerry.
    »So stockschwul«, wiederholte ich.
    »Lieber Gott, Billy – bitte hör damit auf!«, sagte Elaine.
    Da war er: William Francis Dean, ein so hübscher Junge, wie ich nur
je einen gesehen hatte; er hätte als Mädchen durchgehen können, und zwar mit
sehr viel weniger Aufwand, als Miss Frost in ihre Umwandlung gesteckt hatte. Es
war leicht zu begreifen, wieso ich ihn in den Jahrbüchern davor übersehen haben
konnte. William Francis Dean sah aus wie ich; seine Gesichtszüge kamen mir so
bekannt vor, dass ich ihn überblättert haben musste, ohne ihn überhaupt zu
beachten. Seine College- oder Universitätswahl: »Harvard«. Sein Berufswunsch:
»Bühnenkünstler«.
    »Bühnenkünstler«, las ich laut. (Das war, bevor Elaine und ich
irgendwelche anderen Fotos von ihm gesehen hatten; wir kannten nur die
Standard-Porträtaufnahme.)
    William Francis Deans Spitzname lautete »Franny«.
    »Franny«, sagte ich vor mich hin.
    »Hör zu, Billy – ich hab gedacht, du weißt es«, sagte Gerry. »Mein
Dad hat immer gesagt, du hast die doppelte Arschkarte gezogen.«
    »Wieso das denn?«, fragte ich.
    [404]  »Na, dass du das Schwulsein gleich von beiden Seiten abgekriegt
hast«, erklärte mir Gerry. »Du hattest die Homo-Gene von Grandpa Harry auf
mütterlicher Seite, und väterlich – verdammt noch mal, guck dir den doch bloß an !«, sagte Gerry, während sie auf das Foto des hübschen
Jungen im 1940er Jahrbuch zeigte. »Auf väterlicher Seite von deinem bekackten
Genpool hast du den stockschwulen Franny Dean! Wenn das keine doppelte
Scheiß-Arschkarte ist«, sagte Gerry. »Kein Wunder, dass Grandpa Harry den Typen
so vergöttert hat.«
    »Den stockschwulen Franny«, wiederholte ich.
    Ich las William Francis Deans Kurzvita in der 1940er Eule. Theaterclub (4). Ich
zweifelte nicht daran, dass Franny ausschließlich Frauenrollen gespielt hatte –
auf die Fotos war ich besonders gespannt. Ringermannschaft,
Betreuer (4). Selbstredend war er kein Ringer gewesen, sondern der
Betreuer, dafür zuständig, dass die Ringer Wasser und Orangen bekamen und einen
Spucknapf, und für all das Austeilen und Aufheben von Handtüchern, worum sich
ein Mannschaftsbetreuer halt so zu kümmern hat.
    »Von den Genen her, Billy, hast du ein richtig mieses Blatt auf die
Hand gekriegt«, sagte Gerry. »Mein Vater ist zwar kein Schnellmerker, aber du
hast ganz klar die doppelte Arschkarte gezogen.«
    »Gott im Himmel, Gerry – es reicht«, sagte Elaine. »Lass uns bitte
einfach allein, ja?«
    »Jeder kann sehen, dass ihr rumgeknutscht habt, Elaine«, stellte
Gerry fest. »Deine Titten sind so klein – die eine ist aus dem BH rausgerutscht, und du merkst es nicht mal.«
    »Ich mag Elaines Brüste«, sagte ich zu meiner Cousine. [405]  »Leck mich
doch, Gerry! Dass ausgerechnet du mir das

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