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In einer Person

In einer Person

Titel: In einer Person Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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so
etwas über den Tom Atkins von früher niemals sagen können, doch auf den Tom
Atkins vor mir traf es zu.)
    »Hilft das denn?«, fragte Peter seinen Vater, der sich [574]  mühte, den
Sauerstoff einzuatmen; Tom quälte sich sehr für ein klein wenig Erleichterung,
jedenfalls kam es mir so vor, es gelang ihm aber, auf die Frage seines Sohnes
zu nicken – ohne dabei den Blick von mir zu wenden.
    »Ich glaube, dass der Sauerstoff gar nichts bewirkt«, sagte Peter;
der Junge betrachtete mich jetzt genauer. Atkins schob seinen Unterarm langsam
über das Bett und gab seinem Sohn einen leichten Stups. »Also…«, begann der
Junge, als wäre es seine eigene Idee und als hätte nicht sein Dad ihm eingeschärft: Wenn mein alter Freund Bill da ist, frag ihn unbedingt nach
dem Sommer, den wir gemeinsam in Europa verbracht haben, oder so
ähnlich. »Also…«, fing der Junge wieder an. »Soviel ich weiß, sind Sie und mein
Dad zusammen durch ganz Europa gereist. Also – wie war’s denn?«
    Ich wusste, ich würde in Tränen ausbrechen, wenn ich auch nur einen
Blick auf Tom Atkins warf – der wieder lachte, hustete und keuchte –, weshalb
ich nur auf Toms Ebenbild mit dem Karottenhaar schaute, seinen geliebten
fünfzehnjährigen Sohn, und dann sagte ich, als folgte ich einem Drehbuch:
»Zunächst einmal wollte ich dieses Buch lesen, doch dein Dad ließ mich nicht –
außer wenn ich ihm das ganze Buch laut vorlas.«
    »Sie haben ihm ein ganzes Buch laut vorgelesen?«, rief Peter
ungläubig aus.
    »Wir waren beide neunzehn, aber er zwang mich, ihm das ganze Buch
vorzulesen. Dabei hat dein Vater das Buch gehasst, war sogar auf eine der Figuren eifersüchtig; er wollte einfach nicht, dass ich
auch nur eine einzige Minute mit ihr allein war«,
erzählte ich Peter. Der Junge war jetzt [575]  total fasziniert. (Ich wusste, was
ich tat – das war ein Vorsprechen, wie fürs Theater.)
    Vermutlich wirkte der Sauerstoff doch ein wenig – jedenfalls
offenbar für Toms Gefühl –, denn Atkins hatte die Augen geschlossen und
lächelte. Ohne den Candida-Pilz um seine Lippen wäre es beinahe Toms dümmliches
Grinsen von früher gewesen.
    »Wie kann man auf eine Romanfigur eifersüchtig sein?«, wollte Peter
von mir wissen. »Das war doch nur ausgedacht – eine erfundene Geschichte, stimmt’s?«
    »Stimmt«, bestätigte ich, »und sie ist noch dazu eine ganz und gar
unglückliche Person, und schließlich nimmt sie Gift und stirbt. Dein Dad hat
sogar die Füße der Frau verabscheut!«
    »Ihre Füße !«, rief der Junge und musste
fast lachen.
    »Peter!«, hörten wir seine Mutter rufen. »Komm her – dein Vater
braucht Ruhe!«
    Mein Vorsprechen stand von Anfang an unter einem schlechten Stern.
    »Das war komplett inszeniert – sie hatten die ganze Sache einstudiert. Das war dir doch klar, oder, Billy?«, fragte
Elaine mich später, als wir im Zug saßen.
    » Jetzt weiß ich es«, sagte ich ihr. ( Dort wusste ich es nicht.)
    Peter wurde aus dem Zimmer geschickt, als ich gerade erst anfing ! Ich hätte noch viel mehr über den Sommer zu sagen
gehabt, den Tom Atkins und ich in Europa verbrachten, doch plötzlich war Peter
verschwunden. Ich dachte, Tom wäre eingeschlafen, doch er hatte mit
geschlossenen Augen die Sauerstoffmaske von Mund und Nase [576]  genommen und mit
seiner kalten Hand nach meinem Handgelenk getastet. (Bei der ersten Berührung
hielt ich seine Hand für die Nase des alten Hundes.) Jetzt lächelte Tom Atkins;
offenbar wusste er, dass wir allein waren. Wahrscheinlich wusste Atkins auch,
dass die Sauerstoffmaske nicht half; ihm war wohl klar, dass sie nie wieder
helfen würde. Sein Gesicht war tränenfeucht.
    » Gibt es die ewige Nacht, Bill?«, fragte
mich Atkins. »Und lauert einem dort ein scheußliches Schreckgespenst-Gesicht
auf?«
    »Nein, nein, Tom«, versuchte ich ihn zu beruhigen. »Entweder ist es nur Finsternis – kein Schreckgespenst,
rein gar nichts –, oder es ist sehr hell, ein
unwahrscheinlich hell strahlendes Licht, und man sieht lauter wundervolle
Dinge.«
    »So oder so, keine Schreckgespenster – stimmt’s, Bill?«, fragte mich
der arme Tom.
    »Richtig, Tom – so oder so keine Schreckgespenster.«
    Ich spürte, dass jemand hinter mir stand, in der Tür des Zimmers. Es
war Peter; er war zurückgekommen – ich wusste nicht, wie lange er dort
gestanden und was er mit angehört hatte.
    »Kommt das Schreckgespenst-Gesicht in der Nacht in demselben Buch
vor?«, fragte mich der Junge. »Ist das

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