In einer Person
auf den
ausgeschalteten Fernseher; das Mädchen kauerte neben Elaine, die den Arm um die
Schultern der Dreizehnjährigen gelegt hatte.
»Tom hält große Stücke auf Ihren Charakter, Bill«, sagte Mrs. Atkins zu mir (als hätte mein Charakter seit Stunden zur Diskussion gestanden). »Tom hat Sie zwanzig Jahre [580] nicht
gesehen; und doch glaubt er, Ihren Charakter anhand Ihrer Romane beurteilen zu
können.«
»Die ausgedacht, die erfunden sind – stimmt’s?«, fragte mich Peter.
»Bitte nicht, Peter«, sagte Sue Atkins müde und immer noch bemüht,
diesen gar nicht harmlosen Husten zu unterdrücken.
»Das stimmt, Peter«, sagte ich.
»Ich habe die ganze Zeit geglaubt, Tom träfe sich mit ihm «, sagte Sue Atkins zu Elaine und zeigte auf mich. »Aber
Tom hat sich offenbar mit diesem anderen getroffen – nach dem ihr alle so verrückt wart.«
»Das glaube ich nicht«, widersprach ich Mrs. Atkins. »Tom hat mir
gesagt, er habe ihn ›gesehen‹ – nicht, dass er ihn ›getroffen‹ hat. Das ist ein
Unterschied.«
»Tja, was weiß ich schon? Ich bin nur die Ehefrau«, sagte Sue
Atkins.
»Meinst du damit Kittredge, Billy – redet sie von ihm?«, fragte mich
Elaine.
»Ja, so heißt er – Kittredge. Ich glaube, Tom hat ihn geliebt – aber
das habt ihr ja wohl alle «, sagte Mrs. Atkins. Sie
war etwas fiebrig, was auch an den Medikamenten liegen mochte, die sie nahm.
Ich wusste, dass der arme Tom von Bactrim einen Ausschlag bekommen hatte, wenn
auch nicht, wo. Ich hatte nur eine diffuse Vorstellung davon, welche
Nebenwirkungen Bactrim noch haben könnte. Mir war nur klar, dass Sue Atkins
Pneumocystis-Pneumonie hatte, also nahm sie wahrscheinlich Bactrim und hatte
Fieber.
Mrs. Atkins schien wie betäubt, als merke sie nicht, dass ihre
Kinder Emily und Peter mit uns in der Küche waren.
[581] »Hey – ich bin’s nur!«, rief eine Männerstimme aus der Diele.
Emily fing an zu kreischen – löste sich aber nicht aus Elaines Umarmung.
»Es ist doch nur Charles, Emily«, sagte Peter.
»Ich weiß, dass es Charles ist – ich hasse
ihn«, sagte Emily.
»Hört auf, alle beide«, sagte ihre Mutter.
»Wer ist Kittredge?«, fragte Peter.
»Das würde ich auch gern wissen«, sagte Sue Atkins. »Anscheinend
Gottes Geschenk an Männer und Frauen.«
»Was hat Tom über Kittredge gesagt, Billy?«, fragte mich Elaine. Ich
hatte gehofft, dieses Gespräch im Zug zu führen, wo wir allein wären – oder es
überhaupt nie zu führen.
»Tom sagte, er habe Kittredge gesehen –
das war alles«, sagte ich Elaine. Mir war aber klar, dass das nicht alles war. Ich wusste nicht, was Atkins gemeint hatte – als er sagte, dass Kittredge überhaupt nicht so sei, wie wir immer glaubten,
und dass er uns ähnlicher sei, als wir je gedacht hätten.
Dass der arme Tom Kittredge für schön hielt – das konnte ich mir problemlos vorstellen.
Aber Atkins hatte offenbar andeuten wollen, dass Kittredge schwul war, andererseits
aber auch nicht; laut Tom sah Kittredge genauso aus
wie seine Mutter! ( Das wollte ich Elaine nicht auf
die Nase binden!) Wie konnte Kittredge genau wie
seine Mutter aussehen?, fragte ich mich.
Emily kreischte. Es war wohl Charles, der Pfleger, dachte ich, aber
nein – es war Jacques, der Hund. Der alte Labrador stand vor uns in der Küche.
»Es ist nur Jacques, Emily – er ist ein Hund, kein Mann «, [582] sagte Peter verächtlich zu seiner
Schwester, doch das Mädchen schrie immer weiter.
»Lass sie in Ruhe, Peter! Jacques ist ein Rüde, vielleicht liegt’s daran«, sagte Mrs. Atkins. Doch als Emily nicht aufhören
konnte (oder wollte) zu kreischen, sagte Sue zu Elaine und mir: »Es ist
tatsächlich ungewöhnlich, Jacques woanders zu sehen als an Toms Bett. Seit Tom
erkrankt ist, weicht der Hund nicht von seiner Seite. Wir müssen Jacques sogar
zum Pinkeln ins Freie zerren!«
»Wir müssen Jacques ein Leckerli anbieten, nur damit er in die Küche
kommt und frisst«, erklärte Peter, während seine Schwester immer weiterschrie.
»Man stelle sich einen Labrador vor, den man zum Fressen zwingen muss!«, sagte Sue Atkins; auf einmal sah sie den
alten Hund an und fing an zu schreien. Jetzt schrien Emily und ihre Mutter.
»Es muss etwas mit Tom sein, Billy – irgendwas ist passiert«, sagte
Elaine und übertönte das Geschrei. Entweder hörte Peter sie, oder er kam selbst
dahinter – er war offenkundig ein kluger Junge.
»Daddy!«, rief der Junge, doch seine Mutter packte ihn und drückte
ihn an
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