In einer Person
sich.
»Warte auf Charles, Peter – Charles ist bei ihm«, brachte Mrs.
Atkins heraus, obwohl sie noch kurzatmiger geworden war. Jacques (der Labrador)
hockte nur hechelnd da.
Elaine und ich beschlossen, nicht auf Charles zu warten. Wir
verließen die Küche und liefen durch den Flur im Erdgeschoss zu der jetzt offenen
Tür von Toms ehemaligem Arbeitszimmer. (Jacques, der nach kurzem Zögern willens
schien, uns zu folgen, blieb auf dem Küchenfußboden [583] liegen. Anscheinend
wusste der alte Hund, dass sein Herrchen von uns gegangen war.) Elaine und ich
betraten das umgebaute Zimmer, wo wir Charles sahen, wie er sich über den
Leichnam beugte, der auf dem Krankenhausbett lag, das der Pfleger höhergestellt
hatte, um sich die Arbeit zu erleichtern. Charles hielt den Kopf gesenkt; er
sah nicht zu Elaine und mir hoch, doch uns beiden war klar, dass der Pfleger
unsere Anwesenheit bemerkt hatte.
Ich fühlte mich furchtbar an einen Mann erinnert, den ich ein
paarmal im Mineshaft gesehen hatte, einem S&M -Club
an der Washington Street, Höhe Little West 12th Street, im New Yorker Meatpacking
District. (Larry erzählte mir, der Club sei vom Gesundheitsamt geschlossen
worden, aber das geschah erst 1985 – vier Jahre nach dem ersten Auftauchen von
Aids –, also als Elaine und ich versuchsweise in San Francisco zusammenlebten.)
Im Mineshaft passierten eine Menge garstige Dinge: Von der Decke hing eine
Schlinge für das Fisten; es gab eine Wand mit Glory Holes; sie hatten einen
Raum mit einer Badewanne, in der sich Männer anpissen ließen.
Der Mann, dem Charles so glich, war ein tätowierter Muskelprotz mit
elfenbeinblasser Haut, einem kahlgeschorenen Schädel, einem schwarzen Bartfleck
an der Kinnspitze und zwei Diamantohrsteckern. Er trug eine schwarze
Lederweste, einen Jockstrap und ein gutgewichstes Paar Motorradstiefel. Seine
Aufgabe im Mineshaft war es, Leute rauszuschmeißen, die rausgeschmissen werden
mussten. Man nannte ihn Mephistopheles; in seinen freien Nächten, wenn er nicht
im Mineshaft beschäftigt war, hing er in einer schwarzen Schwulenbar namens
Keller’s ab. Ich glaube, [584] Keller’s war an der West Street, Ecke Barrow
Street, in der Nähe des Christopher Street Pier, doch ich ging da nie hin – ich
kannte überhaupt keine Weißen, die da hingingen. (Im Mineshaft hörte ich, dass
Mephistopheles ins Keller’s ging, um Schwarze zu ficken oder sich mit ihnen zu
prügeln, und dass es Mephistopheles egal war, was geschah; Ficken und Prügeln
waren für ihn das Gleiche, und deshalb passte er zweifellos prima in einen
Sadomasoschuppen wie das Mineshaft.)
Doch weder war der Pfleger, der sich so gewissenhaft um meinen toten
Freund kümmerte, dieser Mephistopheles, noch hatte die liebevolle Fürsorge, die
Charles den sterblichen Überresten des armen Tom angedeihen ließ, etwas
Abseitiges oder Sexuelles an sich. Charles befasste sich mit dem
Hickman-Katheter, der von Atkins’ reglosem Brustkorb baumelte.
»Armer Tommy – es ist nicht meine Aufgabe, den Hickman zu
entfernen«, erklärte der Pfleger Elaine und mir. »Der Bestatter wird ihn
rausziehen. Sehen Sie, da ist eine Manschette – wie ein Klettverschluss um den Schlauch – direkt an der Stelle, wo der Katheter durch die Haut dringt. Tommys Zellen,
seine Haut- und Körperzellen, sind in dieses Klettgewebe eingewachsen. Deshalb
bleibt der Katheter an seinem Platz, damit er nicht rausfällt oder sich
irgendwie lockert. Der Bestatter muss nur fest daran ziehen, schon kommt er
raus«, erzählte uns Charles. Elaine sah weg.
»Vielleicht hätten wir Tom nicht allein lassen sollen«, sagte ich zu
dem Pfleger.
»Viele Menschen wollen allein sterben«,
entgegnete der Pfleger. »Ich weiß, dass Tommy Sie sehen wollte, dass er [585] Ihnen
etwas zu sagen hatte. Ich wette, er hat’s gesagt, stimmt’s?«, fragte mich
Charles. Er sah lächelnd zu mir hoch. Er war ein kräftiger, gutaussehender Mann
mit Bürstenhaarschnitt und einem silbernen Ohrring – im oberen, knorpeligen
Teil des linken Ohrs. Charles war glattrasiert, und wenn er lächelte, sah er
überhaupt nicht wie der Mann aus, den ich als Mephistopheles kannte – der
Rausschmeißer und Schläger im Mineshaft.
»Ja, ich glaube, Tom sagte, was er zu sagen hatte«, bestätigte ich.
»Er wollte, dass ich Peter im Auge behalte.«
»Tja, also – viel Glück dabei. Das dürfte wohl Peters Entscheidung
sein!«, sagte Charles. (Ich irrte mich nicht völlig, als ich ihn mit einem
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