In einer Person
war sie
genau das. Ich sage ›Transsexuelle‹. Wenn du die Geschichte hören willst, wirst
du dich einfach dran gewöhnen müssen. Korrigier nicht meine Sprache«, sagte ich dem Knaben. Er blieb einfach auf diesem muffigen Sofa
sitzen und sah mich an. »Ich bin auch tolerant«, sagte ich ihm, »aber ich sag
nicht zu allem ja und amen.«
»In Richards Kurs lesen wir gerade Der Sturm «,
sagte Gee – ohne erkennbaren Anlass, wie es mir schien. »Voll schade, dass wir
ihn nicht aufführen können«, fuhr er fort, »aber im Unterricht lesen wir mit
verteilten Rollen. Ich bin natürlich Caliban – das Ungeheuer.«
»Ich war mal Ariel«, sagte ich ihm. »Ich hab meinen Großvater auf
der Bühne den Caliban spielen sehen; er hat ihn als Frau gespielt«, sagte ich zu dem werdenden Mädchen.
»Echt?«, fragte er mich und lächelte zum ersten Mal; da konnte ich
es auf einmal sehen. Er hatte das Lächeln eines hübschen Mädchens, versteckt in
seinem amorphen Jungengesicht und tiefer verborgen in seinem unfertigen
Jungenkörper, aber ich erkannte trotzdem die Sie in
ihm. »Erzählen Sie mir von der Transgender, die Sie gekannt haben«, forderte
Gee mich auf.
»Der Transsexuellen «, sagte ich.
[667] »Okay – bitte erzählen Sie mir von ihr«, bat mich Gee.
»Das ist eine lange Geschichte, Gee – ich war in sie verliebt«,
antwortete ich ihm – also ihr, sollte ich sagen.
»Okay«, wiederholte sie.
Gegen Mittag gingen wir zusammen in den Speisesaal. Gee war erst
vierzehn, und sie hatte einen Bärenhunger. »Sehen Sie den Jock da drüben?«,
fragte sie mich; mir war nicht klar, welchen Sportler sie meinte, weil ein
ganzer Haufen davon um einen Tisch hockte – dem Aussehen nach Footballspieler.
Ich nickte einfach.
»Der nennt mich Tampon, oder manchmal einfach George – nicht Gee.
Natürlich nicht Georgia, logisch«, sagte Gee lächelnd.
»Tampon find ich ziemlich schlimm«, erwiderte ich.
»Mir gefällt es eigentlich besser als George«, erwiderte sie.
»Wissen Sie was, Mr. A. – eigentlich könnten doch Sie bei Der
Sturm Regie führen, oder – wenn Sie wollen? Dann könnten wir Shakespeare
aufführen.«
Niemand hatte je zuvor Mr. A. zu mir gesagt; offenbar gefiel es mir.
Ich hatte mir schon überlegt, wenn Gee so unbedingt ein Mädchen sein wollte, musste
sie eins sein. Und den Sturm wollte ich auch auf die
Bühne bringen.
»He, Tampon!«, rief jemand.
»Komm, wir reden mal mit den Footballspielern«, sagte ich zu Gee.
Wir gingen zu ihrem Tisch rüber; sofort unterbrachen sie ihre Mahlzeit. Sie
sahen das traurige Häufchen Elend von einem Jungen – die Möchtegerntransgender,
wie sie vermutlich über ihn dachten –, und sie sahen mich, einen
fünfundsechzigjährigen Mann, den sie [668] vermutlich mit einem Lehrer
verwechselten (was ich ja auch bald sein würde); schließlich sah ich viel zu
alt aus, um Gees Vater zu sein.
»Das hier ist Gee – so heißt sie. Merkt euch das«, sagte ich ihnen.
Keine Reaktion. »Wer von euch hat ›Tampon‹ zu Gee gesagt?«, fragte ich; auch
darauf blieben sie die Antwort schuldig. (Scheiß-Schlägertypen: sind doch eh
meist nur Feiglinge.)
»Wenn jemand dich mit einem Tampon verwechselt, Gee, und du wehrst
dich nicht – wer ist dann schuld?«, fragte ich das Mädchen, das noch wie ein
Junge aussah.
»Das ist dann ganz klar meine Schuld«, sagte Gee.
»Wie heißt sie?«, fragte ich die Footballspieler.
Alle bis auf einen riefen: »Gee!« Der geschwiegen hatte, der Größte
von allen, aß jetzt wieder; er sah sein Essen und nicht mich an, als ich mich
an ihn wandte.
»Wie heißt sie?«, fragte ich wieder; er zeigte auf seinen vollen
Mund.
»Ich kann warten«, erklärte ich ihm.
»Das ist kein Lehrer«, sagte der große Footballspieler zu seinen
Mannschaftskameraden, als er runtergeschluckt hatte. »Bloß so ’n
Schriftsteller, der im Ort wohnt. Ein alter schwuler Typ, der früher mal hier
auf die Schule gegangen ist. Der hat uns nichts zu sagen – er ist kein Lehrer.«
»Wie heißt sie?«, fragte ich ihn.
»Weichei?«, fragte der Footballspieler zurück; jetzt lächelte er –
genau wie seine Kumpels.
»Siehst du jetzt, warum ich ›ziemlich wütend‹ bin, wie du sagst,
Gee?«, fragte ich die Vierzehnjährige. »Ist das der Typ, der dich Tampon
nennt?«
[669] »Ja – genau der«, sagte Gee.
Der Footballspieler, der wusste, wer ich war, war vom Tisch
aufgestanden; er war sehr groß, fast schon ein Hüne, mindestens eine Handbreit
größer als
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