In einer Person
nicht in eins der anderen Bäder. Verständnisvoll, wie ich
war, verstand ich auch das. Ich hatte noch nie ein verfluchtes Gespenst gesehen – bestimmt jagen sie einem eine Heidenangst ein.
Der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte, war wohl, wie ich
später Mrs. Hadley und Richard erklärte, dass Amanda am Morgen so durch den
Wind war – schließlich hatte die ängstliche junge Frau kein Auge zugetan –,
dass sie statt meine Schlafzimmertür versehentlich meine Wandschranktür
öffnete. Und dort, an die Schrankrückwand gelehnt, stand Grandpa Harrys
.30-30er-Mossberg, der alte Karabiner.
Amanda schrie wie am Spieß – großer Gott, sie hörte [658] einfach nicht
mehr auf zu schreien. »Du hast tatsächlich das Gewehr behalten – und bewahrst
es im Schrank auf! Wer kommt bloß auf so eine Idee, ausgerechnet das Gewehr zu
behalten, mit dem sich der eigene Großvater im Bad das Gehirn weggepustet hat,
Billy?«, schrie Amanda mich an.
»Mit dem Gewehr hat Amanda nicht unrecht, Billy«, sollte Richard mir
sagen, als ich ihm erzählte, dass wir uns getrennt hatten.
» Niemand will, dass du das Gewehr
behältst, Billy«, sagte Martha Hadley.
»Wenn du das Gewehr loswirst, hauen die Gespenster vielleicht ab,
Billy«, mutmaßte Elaine.
Doch mir sind diese Gespenster nie erschienen; wahrscheinlich muss
man besondere Antennen dafür haben, um sie sehen zu können, und diese
»Antennen« fehlen mir wohl. Zwar habe ich meine eigenen Gespenster – meine
eigenen »schrecklichen Engel«, wie ich sie mir (mehr als einmal) vorgestellt
habe –, aber die wohnen nicht in dem Haus in der
River Street in First Sister.
Während der Schneeschmelze 1995 reiste ich allein nach Mexiko. In
Playa del Carmen mietete ich ein Haus, das Elaine mir empfohlen hatte. Ich
trank jede Menge cerveza und riss einen attraktiven
jungen Mann von verwegenem Äußeren mit bleistiftdünnem Oberlippenbärtchen und
dunklen Koteletten auf; der sah tatsächlich aus wie ein Zorro-Schauspieler – in
einer alten Schwarzweißfassung. Wir hatten Spaß, tranken noch mehr cerveza, und als ich nach Vermont zurückkam, stand bereits
der Frühling vor der Tür.
[659] Die nächsten fünfzehn Jahre passierte bei mir nicht viel, außer
dass ich Lehrer wurde. Die Privatschulen – heutzutage soll man sie
»Alternativschulen« nennen, aber mir rutscht immer mal wieder das Wörtchen
»privat« raus – nehmen es nicht so genau mit der Altersgrenze. Richard Abbott
trat erst mit Anfang siebzig in den Ruhestand und versäumte selbst danach keine
einzige Inszenierung des Theaterclubs der Academy.
Mit seinen diversen Nachfolgern war Richard nicht besonders
zufrieden – na ja, niemand war mit diesem albernen
Haufen trüber Tassen zufrieden. Kein Mensch im Fachbereich Englisch hatte
Richards Gespür für Shakespeare oder auch nur die leiseste Ahnung von Theater.
Martha Hadley und Richard bearbeiteten mich unermüdlich, ich solle mich in der
Academy einbringen.
»Die Kids lesen deine Romane, Billy«, versuchte Richard es immer
wieder.
»Besonders die, die – du weißt schon – sexuell abweichend sind, Billy«, sagte Mrs. Hadley; mit Mitte achtzig betreute sie immer noch
»Einzelfälle« (wie sie es nannte).
Von Elaine erfuhr ich, dass es an den Colleges neuerdings Gruppen
für lesbische, schwule, bisexuelle und Transgender-Kids gab. Und Richard Abbott
erzählte mir – mit mittlerweile Ende siebzig –, inzwischen gäbe es so eine
Gruppe sogar an der Favorite River Academy. Für einen Bisexuellen meiner
Generation war es nicht leicht, sich derartige fest organisierte und tolerierte
Gruppen vorzustellen. (Diese Gruppen setzten sich allmählich so durch, dass ihr
Namenskürzel als Akronym gebräuchlich wurde. Unglaublich, dachte ich, als ich
es hörte.)
[660] Elaine, die jetzt an der New York University unterrichtete, lud
mich zu einer Lesung aus einem neuen Roman vor der LSBT -Gruppe
auf dem Campus ein. (Ich war ja so hinterm Mond, dass ich mir diese
Anfangsbuchstaben tagelang laut vorsagen musste, bis ich sie mir in der
richtige Reihenfolge merken konnte.)
Es muss im Herbsttrimester 2007 an der Favorite River Academy
gewesen sein, als Mrs. Hadley mir sagte, sie und Richard wollten mich einer
ganz besonderen Person vorstellen. Sofort schloss ich auf einen Neuzugang im
Lehrkörper – jemand, der Englisch unterrichtete, entweder eine hübsche Frau
oder ein schnuckeliger junger Mann, wie ich annahm, und womöglich war diese
»besondere« Person
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