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In einer Person

In einer Person

Titel: In einer Person Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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eingestellt worden, um neues Leben in den siechen, so gut
wie todgeweihten Theaterclub zu hauchen.
    Dabei hatte ich Amanda vor Augen – in diese Richtung schien mir Martha Hadleys (und Richards) Verkuppelungsversuch
abzuzielen. Aber nicht doch – nicht in meinem Alter! Im Herbst 2007 war ich
fünfundsechzig. Mrs. Hadley und Richard versuchten nicht, mich zu verkuppeln.
Martha Hadley war rüstige siebenundachtzig, aber ein einziger Sturz auf Eis
oder Schnee – gefolgt von einer gebrochenen Hüfte –, und sie würde in die
Einrichtung für betreutes Wohnen übersiedeln müssen. (Mrs. Hadley hatte das
ohnehin bald vor.) Und Richard Abbott war kein Mann vom Typ Hauptdarsteller
mehr; mit 77 gab er zwar manchmal noch einen Shakespeare-Kurs an der Favorite
River, doch um Shakespeare auch noch auf die Bühne zu bringen, fehlten ihm
Kraft und Ausdauer. Er las die Stücke mit einigen Neuzugängen in ihrem ersten
Schuljahr an der [661]  Academy. (Schüler des Abschlussjahrgangs 2011 ! Unvorstellbar für mich, wieder so jung zu sein!)
    »Wir möchten dir jemand Neues aus der Schülerschaft vorstellen, Bill«, sagte Richard, der auf meine Unterstellung, er (oder Martha)
wollten mich verkuppeln, ziemlich ungehalten reagierte.
    »Ein Neuzugang, Billy – jemand ganz Besonderes«, sagte Mrs. Hadley.
    »Meinst du, jemand mit Ausspracheproblemen?«, fragte ich.
    »Wir versuchen nicht, dich mit jemandem aus dem Lehrkörper
zusammenzubringen, Bill – wirklich nicht. Weil wir nämlich finden, dass du
selber Lehrer sein solltest«, sagte Richard.
    »Wir möchten dir jemand Neues aus der LSBT -Gruppe
vorstellen, Billy«, erklärte mir Mrs. Hadley.
    »Klar – warum nicht?«, antwortete ich. »Das mit dem Lehrer weiß ich
nicht recht, aber euren Neuzugang schau ich mir gerne an. Junge oder Mädchen?«,
fragte ich die beiden, das weiß ich noch. Sie sahen sich nur an.
    »Je nun –«, setzte Richard an, aber Mrs. Hadley unterbrach ihn.
    Sie ergriff meine Hände und drückte sie. »Junge oder Mädchen,
Billy«, sagte sie. »Tja, das ist die Frage. Deshalb möchten wir ihn dir
vorstellen, oder sie – das ist die Frage.«
    »Oh!«, sagte ich. So kam es, dass ich Lehrer wurde.
    Tennisarm-Bob war neunzig, als er in die Einrichtung ging;
vorausgegangen waren zwei Hüftoperationen und ein Treppensturz während seiner
Rehabilitation von der zweiten [662]  Operation. »Allmählich fühl ich mich wie ’n
alter Knochen, Billy«, sagte er mir, als ich ihn im Herbst 2007 dort besuchte –
im selben September, in dem Mrs. Hadley und Richard mir das LSBT -Kid vorstellten, das mein Leben umkrempeln sollte.
    Onkel Bob erholte sich gerade von einer Lungenentzündung, die er
sich während seiner Bettlägerigkeit nach dem Sturz zugezogen hatte. Von der
Aidsepidemie her war mir diese Sorte Lungenentzündung noch lebhaft in
Erinnerung – die, von der sich so viele nie erholten. Ich war froh, Bob wieder
auf den Beinen zu sehen, aber er hatte beschlossen, in der Einrichtung zu
bleiben.
    »Die Leute hier sollen auf mich aufpassen, Billy«, sagte
Schläger-Bob. Ich konnte ihn verstehen; Muriel war seit fast dreißig Jahren
nicht mehr, und Gerry war mit ihren achtundsechzig Jahren gerade zu einer neuen
Freundin nach Kalifornien gezogen.
    Die »Vagina-Lady«, wie Elaine Helena genannt hatte, war schon lange
passé. Ihre neue Freundin hatte Gerry noch keinem von uns vorgestellt, aber sie
hatte mir von ihr geschrieben: dass sie »erst« in meinem Alter sei – als
handelte es sich um eine Minderjährige.
    »Wer weiß«, sagte Onkel Bob, »eh man sich’s versieht, werden sie
noch überall gleichgeschlechtliche Ehen zulassen, und dann heiratet Gerry ihre nächste neue Freundin. Wenn ich in der Einrichtung für betreutes
Wohnen bleibe, muss Gerry in Vermont heiraten!«, rief Schläger-Bob aus, so als
sei schon die bloße Vorstellung, dass das je passieren könnte, jenseits von Gut
und Böse.
    Beruhigt, dass mein neunzigjähriger Onkel Bob in der [663]  Einrichtung
in guten Händen war, machte ich mich auf den Weg zur Noah Adams Hall, in der
gewöhnlich der Sprachenunterricht stattfand; dort sollte ich den »besonderen«
Neuzugang in Richards ehemaligem Büro neben dem Englisch-Klassenzimmer im
Erdgeschoss treffen. Mrs. Hadley würde ebenfalls kommen.
    Zu meinem Schrecken war Richards Büro gänzlich unverändert und so
schauderhaft wie eh und je: ein Kunstledersofa, das schlimmer miefte als jede
Hundedecke, die Sie je gerochen haben; drei oder vier gerade

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