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In einer Person

In einer Person

Titel: In einer Person Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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ich und gut zehn Kilo schwerer.
    »Verpiss dich, du alte Schwuchtel«, sagte der Kerl zu mir. Ich
dachte, besser wäre es, wenn ich ihn dazu bringen könnte, Gee als Schwuchtel zu beschimpfen. Damit wäre der Wichser erledigt,
das wusste ich; auch wenn die Kleiderordnung an der Favorite River gelockert
war, gab es stattdessen jetzt andere Regeln, die es zu meiner Schulzeit noch
nicht gegeben hatte. Man konnte nicht von Favorite River fliegen, weil man Tampon oder Weichei sagte, aber das
Wort Schwuchtel fiel in die Kategorie politisch
unkorrekter Schmähungen. (Genau wie die Wörter Nigger und Itzig konnte einen das Wort Schwuchtel in Schwierigkeiten bringen.)
    »Scheiß- Football spieler«, hörte ich Gee
sagen; diesen Fluch kannte ich von Herm Hoyt. (Ringer können nur darüber
lachen, für was für harte Burschen Footballspieler sich halten.) Diese junge
werdende Transgender konnte Gedanken lesen!
    »Was hast du gesagt, du kleine Schwuchtel?«, fragte der große Kerl.
Er fuhr eine billige Attacke gegen Gee – einen kräftigen Handkantenschlag ins
Gesicht der Vierzehnjährigen. Das war bestimmt schmerzhaft, aber ich sah, dass
Gee sich nicht unterkriegen lassen würde; ihre Nase begann zu bluten, als ich
zwischen die beiden trat.
    »Das reicht«, sagte ich zu dem Schrank, aber er schubste mich mit
der Brust. Ich sah den rechten Haken kommen [670]  und fing ihn mit dem linken
Unterarm auf – so, wie Jim Nochwas es mir im Boxraum
im vierten Stock des NYAC beigebracht hatte. Der
Footballspieler war ein wenig überrascht, als ich nach oben fasste und ihn im
Nackengriff packte. Er rempelte mich kräftig an; schwer, wie er war, lehnte er
sich mit ganzem Gewicht gegen mich – genau was man sich von seinem Gegner
wünscht, wenn man einen halbwegs brauchbaren Durchschlüpfer draufhat.
    Der Speisesaalboden war sehr viel härter als eine Ringermatte, und
der Kerl kam ungünstig auf, mit seinem ganzen Gewicht (und viel von meinem
dazu) auf einer Schulter. Mit ziemlicher Sicherheit hatte er sich das
Schultergelenk ausgekugelt oder das Schlüsselbein gebrochen – oder beides. Er
lag einfach nur da und versuchte, weder die Schulter noch den Oberarm zu
bewegen.
    »Scheiß- Football spieler«, wiederholte Gee,
diesmal an den ganzen Tisch gewandt. Alle konnten sehen, dass ihre Nase stärker
blutete.
    »Zum vierten Mal, wie heißt sie?«, fragte ich den Hünen, der auf dem
Boden lag.
    »Gee«, sagte der Typ mit »Weichei« und »Tampon«. Wie sich
herausstellte, war er mit der Schule schon fertig – ein neunzehnjähriger
Absolvent, der nur zum Footballspielen an der Favorite River aufgenommen worden
war. Entweder wegen eines ausgekugelten Schultergelenks oder eines gebrochenen
Schlüsselbeins musste er die restliche Footballsaison aussetzen. Wegen des
Wortes Schwuchtel flog er zwar nicht von der Academy,
bekam aber Bewährung. (Gee und ich hatten beide vergeblich gehofft, dass ihre
Nase gebrochen wäre.) Im nächsten Frühjahr wurde der [671]  Sportler dann doch noch
der Schule verwiesen, weil er ein Mädchen, das nicht mit ihm schlafen wollte,
als Kampflesbe beschimpft hatte.
    Als ich zustimmte, in Teilzeit an der Favorite River zu
unterrichten, stellte ich die Bedingung, dass die Academy sich bemühen sollte,
Neuzugänge, insbesondere ältere Graduierte, zum Verständnis der liberalen
Favorite-River-Kultur zu erziehen – womit ich natürlich die Akzeptanz sexueller
Vielfalt meinte.
    Aber dort im Speisesaal hatte ich an jenem Septembertag 2007 meinen
Lehrauftrag gegenüber den Footballspielern erfüllt.
    Meine neue Schutzbefohlene Gee hingegen hatte diesen Jocks, die noch
um ihren Tisch hockten, mehr zu sagen. »Ich werde mal ein Mädchen sein«,
verkündete sie tapfer. »Eines Tages werde ich Georgia sein. Bis dahin bin ich
einfach nur Gee, und ihr könnt mich als Caliban in Shakespeares Der Sturm sehen.«
    »Vielleicht findet die Aufführung erst im Winter statt«, gab ich zu
bedenken; nicht dass ich erwartet hätte, auch nur einen der Footballspieler im
Publikum zu sehen. Ich dachte nur, dass es so lange dauern könnte, bis ich die
Schülerinnen und Schüler so weit hatte; alle Kids in Richards Shakespeare-Kurs
waren Neulinge. Das Vorsprechen sollte der ganzen Schule offenstehen, aber die
meisten Interessenten würden (wie Gee) Anfänger sein, fürchtete ich.
    »Und noch etwas«, sagte meine Protegée zu den Footballspielern. Aus
ihrer Nase troff Blut, aber sie war darüber sichtlich hochzufrieden. »Mr. A.
ist kein alter

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