In einer Person
Holzstühle von der
Sorte mit aufklappbarem Minischreibpult. Auf Richards Schreibtisch stapelten
sich wie immer die Papierberge, die Schreibfläche verschwand unter haufenweise
aufgeschlagenen Büchern und losen Blättern. Sein Schreibtischstuhl hatte
Rollen, so dass er im Sitzen durchs ganze Büro flitzen konnte – was er zur
allgemeinen Erheiterung der Schülerschaft auch tat.
Seit meiner Zeit an dem ehemaligen Knabeninternat hatte sich nicht
nur geändert, dass jetzt auch Mädchen da waren – sondern auch die
Kleiderordnung. Wenn es 2007 eine gab, so könnte ich sie Ihnen jedenfalls nicht
beschreiben; Blazer und Krawatten waren aber nicht mehr Vorschrift. Es gab ein
schwammiges Verbot »zerrissener« Jeans. Es war verboten, den Speisesaal im
Schlafanzug zu betreten und nabelfrei zum Unterricht zu erscheinen – wie viel
Bauchfreiheit genau zulässig war, musste immer neu festgelegt werden… ebenso
die sogenannten, vor allem bei Jungs angesagten Maurerdekolletés, also ein
sichtbarer Ansatz der Arschritze. Bei beiden Körperzonen waren die Regeln heiß
umstritten und wurden ständig Millimeter um [664] Millimeter revidiert. Die
Schülerschaft fand die Regeln sexuell diskriminierend, weil die Bäuche der
Mädchen und die Arschritzen der Jungen angeblich dadurch an den Pranger
gestellt würden.
Da hatte ich mir nun vorgestellt, Marthas und Richards »besonderer«
Schützling wäre ein atemberaubender Hermaphrodit – mit einer Art allseits
betörender Melange von Geschlechtsorganen, eine erotisch so verführerische
Person wie die mythologische Kombination von Nymphe und Satyr in einem
Fellini-Film – doch da in Richards Büro, hingelümmelt auf diese Hundedecke von
einem Sofa, erwartete mich ein schlampig gekleideter, leicht übergewichtiger
Junge mit einem knallrot entzündeten Pickel am Hals und dem allerspärlichsten
Ansatz eines Milchbarts. Dieser Pickel sah fast so wütend aus wie der Junge
selber. Bei meinem Anblick kniff er die Augen zusammen – schwer zu sagen, ob
aus Unmut oder wegen der Anstrengung, die es ihn kostete, mich näher in
Augenschein zu nehmen.
»Hallo, ich bin Bill Abbott«, begrüßte ich ihn.
»Das ist George –«, sagte Mrs. Hadley.
»Georgia«, korrigierte der Junge sie
sofort. »Ich bin Georgia Montgomery – man nennt mich Gee.«
»Gee«, wiederholte ich.
»Gee ist für den Übergang«, sagte der Junge, »aber Georgia werde ich sein. Das hier ist nicht mein Körper«, ereiferte er sich. »Ich bin nicht, was Sie sehen. Ich werde
jemand anderes.«
»Okay«, sagte ich.
»Ich bin auf diese Schule gekommen, weil Sie hier Schüler waren«, erklärte mir der Junge.
[665] »Gee ist davor in Kalifornien zur Schule gegangen«, mischte
Richard sich ein.
»Ich dachte, bestimmt gibt’s hier noch mehr Transgender-Kids«, sagte
mir Gee, »aber von wegen – jedenfalls keine, die sich geoutet hätten.«
»Seine Eltern –«, versuchte Mrs. Hadley mir zu sagen.
»Ihre Eltern«, wurde sie von Gee korrigiert.
»Gees Eltern sind sehr tolerant «, erklärte
mir Martha. »Sie stehen voll hinter dir, nicht
wahr?«, fragte sie den Jungen – oder das werdende Mädchen, falls er oder sie
das war.
»Meine Eltern sind tolerant, und sie stehen voll hinter mir«, sagte Gee, »aber sie haben auch
Angst vor mir – sie sagen zu allem ja, so wie jetzt zu meiner weiten Reise nach
Vermont.«
»Verstehe«, sagte ich.
»Ich hab alle Ihre Bücher gelesen«, sagte mir Gee. »Sie sind
ziemlich wütend, oder? Jedenfalls sind Sie ziemlich pessimistisch. Sie glauben
nicht, dass es mit der ganzen sexuellen Diskriminierung so bald vorbei sein
wird, stimmt’s?«, fragte mich der Junge.
»Ich schreibe Romane«, bremste ich ihn. »Im wirklichen Leben bin ich
nicht unbedingt so pessimistisch, wie wenn ich mir eine Geschichte ausdenke.«
»Sie kommen mir aber trotzdem ziemlich wütend vor«; davon ließ er
sich nicht abbringen.
»Lassen wir die beiden allein, Richard«, sagte Mrs. Hadley.
»Ja, ja, – du bist jetzt ganz auf dich gestellt, Bill«, sagte
Richard und klopfte mir auf den Rücken. »Bitte Bill, dir von einer Transsexuellen
zu erzählen, die er gekannt hat, [666] Gee«, sagte Richard zu dem werdenden
Mädchen, als er ging.
»Einer Transgender «, korrigierte Gee
Richard.
»Für mich nicht«, erklärte ich dem Bürschchen. »Ich kenne den
Sprachwandel; ich weiß, dass ich ein alter Mann und von gestern bin. Aber die
Person, die ich gekannt habe, war für mich eine Transsexuelle. Damals
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