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In einer Person

In einer Person

Titel: In einer Person Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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Kittredges Mutter Elaine nach
Europa brachte. Ich zweifle nicht daran, dass Elaine die Abtreibung wollte.
Martha Hadley und Mr. Hadley hatten wohl eingesehen, dass es das Beste war. Es
war jedenfalls das, was Mrs. Kittredge gewollt hatte. Ich vermute, dass sie als
Französin wusste, wohin man sich in Europa wenden musste; als Kittredges Mom
hatte sie eventuell schon Erfahrungen mit einer ungewollten Schwangerschaft.
    Damals stellte ich mir vor, dass jemand wie Kittredge [263]  bestimmt
schon früher Mädchen geschwängert hatte – zuzutrauen wäre es ihm. Aber ich
dachte auch, dass Mrs. Kittredge in eine Notlage geraten sein mochte – als sie
jünger war, meine ich. Schwer zu sagen, was mich auf diese Idee brachte. Bei
einer Probe von Was ihr wollt hatte ich ein Gespräch
mit angehört; ich war zufällig dazugestoßen, als Kittredge und sein
Ringerkollege Delacorte sich unterhielten – Delacorte, der Mundausspüler und
Spucker. Es klang, als hätten sie sich gestritten; offenbar hatte Delacorte
Angst vor Kittredge, so wie alle anderen auch.
    »Nein, so hab ich das nicht gemeint – ich sagte nur, sie sei die
schönste Mutter, die ich kenne. Deine Mom sieht am besten aus – mehr hab ich
nicht gesagt«, beteuerte Delacorte verängstigt; dann spülte er und spuckte aus.
    »Falls sie wirklich meine Mutter ist, meinst du«, sagte Kittredge.
»Sie sieht nicht besonders mütterlich aus, oder? Sie
sieht aus, als würde sie einen in Schwierigkeiten bringen – so sieht sie aus.«
    »Ich habe ja nicht gesagt, wie deine Mom
aussieht«, wehrte sich Delacorte, »sondern nur, dass sie die Schönste ist. Sie
ist die am besten aussehende Mom aller Moms!«
    »Vielleicht sieht sie nicht wie eine Mom aus, weil sie keine ist«,
sagte Kittredge. Delacorte konnte vor lauter Angst nicht reden und spülte und
spuckte und hielt die Pappbecher krampfhaft in beiden Händen.
    Meine Idee, dass Mrs. Kittredge selbst in Schwierigkeiten gesteckt
hatte, stammte von Kittredge; er hatte nämlich
gesagt: »Sie sieht aus, als würde sie einen in Schwierigkeiten bringen.«
    Möglicherweise wollte Mrs. Kittredge nicht nur Elaine [264]  aus ihrer
Bredouille helfen, sondern auch ihrem Sohn. Wohl dank der Abmachung, die sie mit
den Hadleys getroffen hatte, durfte Kittredge auf der Schule bleiben.
»Moralische Verderbtheit« war einer der Gründe, deretwegen man von der Favorite
River Academy verwiesen werden konnte. Dass ein Zwölftklässler des Internats
eine Lehrertochter schwängerte – wohlgemerkt, Elaine war noch keine achtzehn
und somit rein juristisch minderjährig –, war jedenfalls in meinen Augen ein
niederträchtiges, verdorbenes oder verkommenes Verhalten, doch Kittredge durfte
bleiben.
    »Du reist mit Kittredges Mutter – nur ihr
beide?«, hatte ich Elaine gefragt.
    »Natürlich nur wir zwei, Billy – wer sollte denn noch mitkommen?«,
entgegnete Elaine.
    » Wohin in Europa?«, fragte ich.
    Elaine zuckte die Achseln; sie musste sich immer noch übergeben,
wenn auch seltener. »Warum ist das wichtig, wohin wir fahren, Billy? Jacqueline
weiß, wohin.«
    »Du nennst sie Jacqueline?«
    »Sie hat mich gebeten, sie Jacqueline zu nennen – nicht Mrs.
Kittredge.«
    »Oh!«
    Richard hatte Laura Gordon als Viola besetzt; Laura war mittlerweile
in der zwölften Klasse auf der Highschool in Ezra Falls. Laut meiner Cousine
Gerry hatte Laura »die Beine breit gemacht« – was mir nicht aufgefallen war,
aber Gerry war in solchen Dingen offenbar gut informiert. (Gerry studierte
inzwischen auf der Universität und hatte Ezra Falls endlich hinter sich
gelassen.)
    Da Laura Gordons Brüste schon zu gut entwickelt [265]  waren, um Laura
als Hedvig in Die Wildente zu besetzen, hätte sie das
für die Rolle der Viola von vornherein disqualifizieren müssen, die sich ja
irgendwie als Mann verkleiden muss. (Laura würde sich elastische Binden um den
Brustkorb wickeln müssen, doch auch damit würde sie nicht wesentlich flacher.)
Doch Richard wusste, dass Laura ihren Text kurzfristig lernen konnte; obwohl
sie überhaupt nicht wie mein Zwilling aussah, würde sie keine schlechte Viola
abgeben. Die Vorbereitungen gingen weiter, auch wenn Elaine einige Aufführungen
verpassen würde; sie blieb noch eine Zeitlang in Europa – um sich zu erholen,
vermutete ich.
    Was ihr wollt endet mit dem Lied des
Narren. Feste ist allein auf der Bühne. »›Denn der Regen, der regnet jeglichen
Tag‹«, sang Kittredge viermal.
    »Die arme Kleine«, hatte Kittredge zu mir

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