In einer Person
unüberhörbar war. (Als ich wusste, dass
Elaine schwanger war, fiel mir eine Zeile aus der Mitte dieser Strophe ein:
»Liebe findt zuletzt ihr Stündlein.«)
Es liegt auf der Hand, dass Elaine und Kittredge ihr »Stündlein« in
Elaines Zimmer im vierten Stock des [260] Wohnheims fanden. Die Hadleys hatten
immer noch die Angewohnheit, mit Richard und meiner Mom nach Ezra Falls ins
Kino zu fahren. Ich erinnere mich, dass es ein paar untertitelte fremdsprachige
Filme gab, die keine Sexfilme waren. In jenem Jahr
lief in Vermont ein Film von Jacques Tati – war es Mein
Onkel, oder vielleicht sein früherer Film, Die Ferien
des Monsieur Hulot ? –, und ich begleitete meine Mom und Richard und Mr.
und Mrs. Hadley nach Ezra Falls.
Elaine wollte nicht mitkommen; sie blieb zu Hause. »Es ist kein
Sexfilm, Elaine«, hatte ihre Mutter versichert. »Er ist zwar französisch, aber
eine Komödie – ein sehr beschwingter Film.«
»Mir ist nicht nach beschwingt – mir ist
nicht nach Komödie «, hatte Elaine gesagt. Bei den
Proben zu Was ihr wollt übergab sie sich bereits,
doch keiner wäre auf die Idee gekommen, dass es sich um Schwangerschaftsübelkeit
handelte.
Vielleicht erzählte Elaine Kittredge damals, dass er sie
geschwängert hatte – als ihre und meine Familie sich in Ezra Falls einen
untertitelten Jacques-Tati-Film ansahen.
Als Elaine wusste, dass sie schwanger war, erzählte sie es
schließlich ihrer Mutter; entweder Martha oder Mr. Hadley muss es Richard und
meiner Mom weitererzählt haben. Ich lag im Bett – natürlich trug ich Elaines BH –, als meine Mutter in mein Zimmer stürmte. »Nicht,
Jewel – reg dich doch nicht auf«, hörte ich Richard sagen, doch meine Mom hatte
schon meine Lampe angeknipst.
Ich setzte mich im Bett auf und hielt Elaines BH , als wollte ich meine nicht existierenden Brüste
verbergen.
[261] »Stell dir vor!«, rief meine Mutter. »Elaine ist schwanger !«
»Ich war’s nicht«, erwiderte ich, doch sie knallte mir eine.
»Natürlich warst du’s nicht – ich weiß, dass du’s nicht warst, Billy!«, sagte meine Mom. »Aber warum warst du’s nicht – warum nur?«, rief sie und rannte schluchzend aus meinem
Zimmer. Dann trat Richard ein.
»Bestimmt war es Kittredge«, sagte ich zu Richard.
»Natürlich war’s Kittredge«, sagte Richard. Er setzte sich auf meine
Bettkante, sehr bemüht, den BH nicht zu bemerken.
»Du musst deiner Mom verzeihen – sie ist durcheinander«, sagte er.
Ich reagierte nicht. Ich dachte an das, was Mrs. Hadley zu mir
gesagt hatte – dass »gewisse sexuelle Dinge« meine Mutter aufregten. (»Billy,
ich weiß, dass sie dir manche Dinge verschwiegen hat«, hatte Martha Hadley zu
mir gesagt.)
»Ich glaube, Elaine muss für eine Weile fort«, sagte Richard Abbott
gerade.
»Aber wohin ?«, fragte ich ihn, doch
entweder wusste Richard es nicht, oder er wollte es mir nicht verraten; er
schüttelte nur den Kopf.
»Es tut mir wirklich leid, Bill – alles tut mir so leid«, sagte
Richard. Ich war erst kurz zuvor achtzehn geworden.
In diesem Moment wurde mir klar, dass ich nicht mehr für Richard
schwärmte, kein bisschen mehr. Ich wusste, dass ich Richard Abbott liebte – ich
liebe ihn immer noch –, doch an dem Abend fand ich etwas, was mir an ihm nicht
gefiel. In gewisser Hinsicht war er schwach – er ließ sich von meiner Mutter
herumschubsen. Was auch immer meine [262] Mom mir verheimlicht hatte, ich wusste
jetzt, dass auch Richard es mir verheimlichte.
Es passiert vielen Jugendlichen, dass sie plötzlich voller Groll
oder Misstrauen auf die Erwachsenen sind, denen sie zuvor bedingungslos
vertrauten. Bei manchen Teenagern geschieht das früher als bei mir, doch ich
war gerade achtzehn geworden, als ich meine Mutter und Richard einfach
ausblendete. Großvater Harry vertraute ich mehr, und Onkel Bob liebte ich noch
immer. Doch Richard Abbott und meine Mom waren in jene zweifelhafte, von Tante
Muriel und Nana Victoria bewohnte Region abgewandert – in ihrem Fall eine
Region der nörglerischen, destruktiven Kommentare, die man ignorierte oder
denen man aus dem Weg ging. Was Richard und meine Mutter betraf, so ging ich
ihrer Heimlichtuerei aus dem Weg.
Was die Hadleys anging, so schickten sie Elaine etappenweise »fort«.
Ich kann nur raten, was zwischen Mrs. Kittredge und den Hadleys ablief – die
Abmachungen von Erwachsenen werden deren Kindern nur selten erläutert –, aber
Mr. und Mrs. Hadley waren einverstanden, dass
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