Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
In einer Person

In einer Person

Titel: In einer Person Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
Vom Netzwerk:
ich
Kittredge gefragt.
    »Weil man ihn da fix und fertig machen würde«, hatte Kittredge
geantwortet.
    [257]  »Oh!«
    Zwei andere Ringer wurden als Seehauptleute besetzt. Einer dieser
Kapitäne ist nicht besonders wichtig – er ist der Kapitän des gekenterten
Bootes, der sich mit Viola anfreundet. Den Namen des Ringers, der ihn spielte,
habe ich vergessen. Der zweite Seehauptmann ist Sebastians Freund Antonio.
Zuerst hatte ich befürchtet, Richard könnte Kittredge als Antonio besetzen, der
ein tapferer und draufgängerischer Typ ist. Sebastian ist Antonio in so
aufrichtiger Freundschaft zugetan, dass ich gespannt war, wie sich diese
Zuneigung auf die Bühne bringen ließe – das heißt, falls Kittredge Antonio
spielen würde.
    Doch entweder spürte Richard meine Anspannung, oder er wusste, dass
Kittredge als Antonio reine Verschwendung gewesen wäre. Aller
Wahrscheinlichkeit nach hatte Richard von vornherein eine bessere Rolle für
Kittredge vorgesehen.
    Der Ringer, den Richard als Antonio besetzte, war ein gutaussehender
Bursche namens Wheelock; was immer an Antonio draufgängerisch war, konnte
Wheelock rüberbringen.
    »Das kann Wheelock gerade noch, aber nicht viel mehr«, höhnte
Kittredge über seinen Mannschaftskameraden. Mich überraschte, dass Kittredge
sich seinen Ringerkumpanen so überlegen fühlte; bisher hatte ich geglaubt, er
fühle sich nur Leuten wie Elaine und mir überlegen. Doch ich hatte Kittredge
offenbar unterschätzt: Er fühlte sich allen überlegen.
    Richard besetzte Kittredge als Feste, den Narr – ein oft grausamer
Narr und wie andere Narren bei Shakespeare [258]  arrogant und klug (klüger als all
die Damen und Herren, mit denen sie die Bühne teilen; der Hofnarr in Was ihr wollt ist einer dieser klugen Narren). Ja, in den
meisten Aufführungen von Was ihr wollt, die ich
gesehen habe, stiehlt Feste den anderen die Schau – und das galt für Kittredge
nicht weniger. Im Spätwinter 1960 stahl Kittredge anderen mehr als nur die
Schau.
    Als ich an jenem Abend nach meinem Gespräch mit Grandpa Harry
den Innenhof zwischen den Wohnheimen durchquerte, hätte ich wissen müssen, dass
das blaue Licht in Elaines Schlafzimmerfenster im vierten Stock ein (wie
Kittredge es genannt hatte) »Leuchtfeuer« war. Kittredge sollte recht behalten:
Die Lampe mit dem blauen Schirm schien für ihn.
    Bei Dr. Graus Tod hatte ich mir ausgemalt, dass das blaue Licht in
Elaines Schlafzimmerfenster das letzte Licht gewesen sei, das dem alten Mann –
wenn auch nur schwach – geleuchtet hatte, während er im Schnee lag und erfror.
(Das war vielleicht ein wenig weit hergeholt. Dr. Grau hatte sich den Kopf
angeschlagen und im Schnee das Bewusstsein verloren. Wahrscheinlich sah der alte
Grau gar keine Lichter mehr, nicht einmal schwach.)
    Aber was hatte Kittredge in diesem blauen Licht gesehen – was war
mit dem Leuchtfeuer, das ihn ermutigt hatte? » Ich habe ihn ermutigt, Billy«, sollte Elaine später zu mir
sagen; zu jenem Zeitpunkt jedoch hatte ich keine Ahnung, dass sie mit ihm
fickte.
    Und die ganze Zeit brachte mein braver Stiefvater Richard Abbott mir Kondome – »Nur damit nichts passiert, [259]  Bill«, sagte
Richard dann und schenkte mir noch ein Dutzend Kondome. Ich hatte dafür keine
Verwendung, bewahrte sie aber stolz auf; gelegentlich masturbierte ich in eins.
    Natürlich hätte ich ein Dutzend (oder mehr) Kondome Elaine geben
sollen. Irgendwie hätte ich sogar den Mut aufgebracht, sie alle Kittredge zu
geben, wenn ich es bloß gewusst hätte!
    Elaine verriet es mir nicht, als sie erfuhr, dass sie schwanger war.
Wir hatten Frühlingshalbjahr, und es waren nur wenige Wochen bis zur Premiere
von Was ihr wollt; wir probten seit einiger Zeit
schon ohne Textbuch, und unsere Proben wurden besser. Onkel Bob (als Junker
Tobias von Rülp) brachte uns jedes Mal zum Johlen, wenn er sagte: »Glaubst du,
weil du tugendhaft bist, soll es in der Welt keine Torten und keinen Wein mehr
geben?«
    Kittredge hatte eine kräftige Singstimme – er war ein recht guter
Sänger. Das Lied, das der Narr Feste Junker Tobias und Junker Christoph von
Bleichenwang vorsingt – das Lied »O Schatz, auf welchen Wegen irrt Ihr?« –, ist
eine liebliche, aber auch melancholische Weise. Das Lied endet mit der Zeile:
»Jugend hält so kurze Zeit.« Es fiel mir nicht leicht, Kittredge dieses Lied so
schön singen zu hören, wenn auch der leichte Spott in seiner Stimme – entsprang
er Festes oder Kittredges Charakter? –

Weitere Kostenlose Bücher