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In einer regnerischen Nacht: Roman (German Edition)

In einer regnerischen Nacht: Roman (German Edition)

Titel: In einer regnerischen Nacht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
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ihr Seufzen zu Cams nächstem Atemzug wurde.
    Als Mia den ersten Schritt hörte, drückte sie Cam von sich weg. Sein Gesicht war rot, und um seinen Mund lag ein feuchter Ring. Mia zweifelte nicht daran, daß sie genauso aussah. Sie senkte den Kopf, so daß die Locken über ihre Wangen fielen, und tastete auf dem weißgrauen Bodenbelag nach den verstreuten Utensilien.
    Allie zog die andere Hecktür auf und erfaßte mit einem Blick das Durcheinander im Auto. Sie fischte eine Drahtspule aus einem der übrigen Blumenkörbe. »Was ist passiert?«
    Sie war zu sehr damit beschäftigt, eine Schachtel mit Lilien aus dem Auto zu bergen, als daß sie den Blickwechsel zwischen Cam und Mia mitbekommen hätte. »Ein Mißgeschick«, sagte Mia und knallte dann die Autotür zu, als würde sich Cam damit tatsächlich auf Distanz halten lassen.
    Die Verhandlung in dem Fall ›Staat von Massachusetts gegen James MacDonald‹ war für den sechzehnten Januar angesetzt; das bedeutete, daß Graham MacPhee etwas mehr als zwei Monate blieben, um ein Karnickel aus dem Hut zu zaubern. Er hatte in letzter Zeit mit einem Notizblock neben dem Bett geschlafen und sich alles aufgeschrieben, was ihm zu Jamies Verteidigung einfiel. Zwar wollte er immer noch auf Unzurechnungsfähigkeit plädieren, doch würde er zusätzlich ein bißchen Sand ins Getriebe der Anklage streuen. Zum Beispiel hatte Allie eine Freundin von Maggie aufgetrieben, die bestätigen konnte, daß Maggie ihren Mann gebeten hatte, sie zu töten; damit wäre die Bedingung des Vorsatzes nicht mehr ganz so eindeutig gegeben. Und Graham beabsichtigte auch, die Mitleidstrommel zu rühren, indem er ganz subtil die Euthanasiekarte ausspielte. Er sah sich selbst in einem feierlichen Gerichtssaal stehen und mit klingender Stimme Jamies Haut retten, nachdem er sich eine brillante Rede zum Thema Gnade zurechtgelegt hatte.
    Seit einigen Wochen reichte Graham auch Vorab-Anträge für die Verhandlung ein – ganz gewöhnliche Anträge, die dazu beitrugen, den Fall ein wenig hinauszuzögern. Er hatte Audra Campbell mit einem Antrag bedient, der ihr zustand – und in dem er also ankündigte, für seinen Klienten Unzurechnungsfähigkeit geltend zu machen; damit mußte sie einen vom Staat bezahlten Psychologen beauftragen, Jamie zwanzig Minuten lang zu untersuchen und daraufhin ein Gutachten abzugeben. Und dann, um sie zu ärgern, hatte er beantragt, die Beweise der Anklage noch einmal überprüfen zu dürfen. Nicht daß Graham glaubte, die Staatsanwältin hätte irgendwelche Asse im Ärmel versteckt; doch es würde einige Zeit in Anspruch nehmen, Kopien von Jamies Geständnis, den Laborergebnissen und so weiter anzufertigen; obendrein gefiel ihm der Gedanke, daß Audra Campbell wertvolle Zeit vergeudete, während der sie nicht an ihrer Anklage feilen konnte.
    Heute war er jedoch den weiten Weg nach Pittsfield gefahren, um gegen einen Antrag zu kämpfen, den Audra ihm überreicht hatte und in dem sie forderte, daß die Worte ›Tötung aus Mitleid‹ während der Verhandlung nicht verwendet werden durften. Von Jamie dürfte nur als ›dem Angeklagten‹ oder ›Mr. MacDonald‹ gesprochen werden; die Grautöne der von ihm begangenen Tat müßten im Schwarzweiß der Anklage erscheinen. Audra war verflucht noch mal gewitzt genug, um zu wissen, welche Aspekte des Falles Graham er zu seinem Vorteil nutzen konnte. Als Graham den Antrag zum ersten Mal gelesen hatte, war er in seinem Stuhl zusammengesunken, wie erschlagen von dem Bild eines Gerichtssaales, in dem es kein Mitleid geben durfte. Der Landesrichter Roarke, ein großer schwarzer Bär von einem Mann, hatte Audras Antrag stattgegeben. »Aber Euer Ehren«, wandte Graham ein, »das hier war kein kaltblütiger Mord. Es handelt sich hier um eine Tat, die begangen wurde, um einem Menschen Leid zu ersparen. Wie sollte die Verteidigung da nicht von Mitleid sprechen?«
    Der Richter sah Graham ruhig an. »Betrachten Sie«, sagte er, »das bitte als Ihr Problem, nicht als meines, Mr. MacPhee.« Aus dem Augenwinkel konnte Graham das Lächeln der Staatsanwältin sehen, das deutlich aus den geröteten Flecken ihres Gesichts strahlte. »Achten Sie darauf, daß Sie während der Verhandlung die Worte ›Mitleid‹ oder ›Tötung aus Mitleid‹ nicht verwenden, sonst … nun, sonst bekommen Sie es mit mir zu tun. Diese Regel gilt für die Zeugenbefragung, für das Kreuzverhör und für die Eröffnungs- und Abschlußplädoyers. Und weisen Sie Ihre Zeugen an, den

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