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In einer regnerischen Nacht: Roman (German Edition)

In einer regnerischen Nacht: Roman (German Edition)

Titel: In einer regnerischen Nacht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
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erbebten. »Wahrscheinlich ist der Priester noch nicht da?«
    Der Mann schüttelte den Kopf. »Nee!«
    Allie sah auf. »Ich kann nach ihm Ausschau halten«, schlug sie vor. »Als was kommt er denn?«
    Er sah sie an, als wäre sie verrückt. »Als Priester natürlich«, erklärte er. »Wie denn sonst?«
    Allie hörte Schritte und sah erschreckt auf. Es war elf Uhr; die Zeremonie würde erst in zwei Stunden beginnen, doch die ersten Gäste trafen bereits ein. Wenigstens nahm sie an, daß es Gäste waren – eine mittelalterlich gekleidete Dame, ein Hofnarr und Elvira, die Königin der Nacht. »Hi!« rief Napoleon ihnen winkend zu. »Tante Anne! Du siehst toll aus!«
    Er verschwand, um sich ein paar Minuten mit seinen Verwandten zu unterhalten – während derer Allie eine ganze Efeugirlande fertigen konnte –, kehrte dann aber zu ihr zurück, als sei ihr seine Anwesenheit eine Hilfe. »Sie sind zu früh dran«, verkündete er Allie. »Sie haben sich in der Reisezeit von New York aus vertan.«
    Allie nickte und zupfte aus einem der Sträuße eine Lilie. Die Lilien sollten oben an den Bänken die Enden der Gewinde bilden, und die Mimosen würden so festgesteckt werden, daß sie wie weiche Kaskaden von den Seiten fielen.
    »Hübsche Blumen«, sagte Napoleon. Er zerquetschte eine Mimose zwischen den Fingern. Allie verzog das Gesicht. »Riecht gut.«
    »Das haben Mimosen an sich«, sagte sie. »Schauen Sie!« Sie nahm ihm den Mimosenstengel aus den Fingern, bevor er noch mehr Schaden anrichten konnte, und strich mit der Fingerspitze leicht über die nächste Blüte. Die Blütenblätter zogen sich schüchtern zusammen. »Deshalb hat man sie früher immer bei Hochzeiten verwendet. Man sagte, wenn ein Mädchen im Zustand der Sünde an dieser Pflanze vorbeikäme, würden sich die Blüten zusammenziehen, als berührte sie etwas Böses.«
    Napoleon lachte. »Soviel zur Märchenhochzeit meiner Schwester!« Er schwenkte die Hand über die halbfertige Girlande. »Das ganze Ding wird zusammenschrumpfen und welk herunterbaumeln«, meinte er. »Sie lebt schon seit einem Jahr mit Pete zusammen.«
    Allie hängte gerade das erste Gewinde auf, als ein Terrorist, Shirley Temple und ein Hippie die Kirche betraten. Sie setzten sich hinter die anderen Gäste und begannen eine leise Unterhaltung. »Ich werde nie fertig«, murmelte Allie vor sich hin.
    »Hey«, bemerkte Napoleon, der vor ihr stand. »Ich habe da ein Rumoren gehört. Das muß Pater Gillivray sein.« Er machte sich auf den Weg durch den Mittelgang, auf dem ein weißer Läufer den Schritt seiner blanken Stiefel dämpfte.
    Sie biß die Zähne zusammen, als sie erneut die Stimme des Mannes vernahm, diesmal vor dem Hintergrund einer anderen, höheren und weicheren Stimme. »Da ist jemand, der Sie sucht«, verkündete Napoleon jetzt. Allie blickte auf und sah Mia hinter ihm stehen.
    Ein Lächeln trat auf ihr Gesicht. »Gott sei Dank«, sagte sie. »Du hättest dir keinen besseren Augenblick aussuchen können. Geh mir zur Hand, ja?«
    Mia hatte ihren leise miauenden Rucksack auf eine Kirchenbank gestellt und kniete nun neben Allie nieder, um einen Lilienstengel mit Draht zu umwickeln.
    Allie deutete auf eine fertige Girlande, hielt das obere Ende gegen eine Kirchenbank und zog einen Reißnagel aus ihrer Schürze, um sie festzumachen. »Die untere Hälfte drapierst du einfach nach oben«, erklärte sie ihr.
    Mia nahm sich die lange Kette und ging nach hinten. Vorsichtig wollte sie eine Blüte zurechtrücken, die sich dabei verdreht hatte. Die Blütenblätter der Mimose zuckten zurück, als wäre ihnen die Berührung peinlich. Dann ging die nächste Blüte zu und die übernächste und so weiter, bis alle Blüten fest geschlossen waren, bebend vor Bescheidenheit, und alle Schönheit vergangen.

12
     
    Wie kommt es, daß man nur am Anfang einer Beziehung spürt, wieviel Wärme von einer Person ausstrahlt und wie viele Zentimeter man sich bewegen müßte, damit man wie zufällig ihre Schulter berührt?
    Cam blickte stur auf die Straße. Komisch, mit Allie konnte er vierzigmal am Tag zusammenrumpeln – vor dem Kühlschrank oder am Waschbecken im Bad –, und doch war er sich nie ihrer Nähe bewußt, hatte nie das Gefühl, seine Nerven würden sich ein winziges bißchen nach ihr ausstrecken. Er konnte sich nicht einmal mehr daran erinnern, ob er jemals neben Allie im Auto gesessen und sich überlegt hatte, wie er am geschicktesten sein Bein gegen ihres drückte und das dann auf die

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