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In einer regnerischen Nacht: Roman (German Edition)

In einer regnerischen Nacht: Roman (German Edition)

Titel: In einer regnerischen Nacht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
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Begriff ebenfalls zu meiden; andernfalls ziehe ich Sie dafür zur Verantwortung und bestrafe Sie wegen Mißachtung des Gerichts. Habe ich mich klar ausgedrückt, Mr. MacPhee?«
    »Kristallklar«, knirschte Graham, stopfte seine Papiere in den Aktenkoffer und marschierte aus dem Saal, bevor Audra Gelegenheit hatte, ihn anzufeixen.
    Er stieg in sein Auto und fuhr in Richtung Wheelock. Es war dunkel; Mitte November brach die Nacht viel früher an. Unentschlossen überlegte er, oh er direkt zu Angus fahren und sich dort mit Jamie beraten, oder ob er ihm eine schlaflose Nacht ersparen und bis zum Morgen warten sollte.
    Graham fuhr über die linke Nebenstrecke nach Wheelock, die nicht durchs Ortszentrum führte und genau an Angus' Haus vorbeiging. Die Straße passierte auch den Friedhof, was Graham im Vorbeifahren nie auffiel – außer im Winter, wenn der Schnee alles zudeckte und Graham sich fragte, ob der Tod dadurch noch kälter und beklemmender wurde. Konsequenterweise beschloß er, sich bei seinem Ableben verbrennen zu lassen. Als Graham jetzt daran vorbeifuhr, bemerkte er einen dünnen grünen Strahl, der irgendwo hinten im Friedhof auf und ab hüpfte.
    Halloween war bereits vorbei, deshalb handelte es sich wahrscheinlich nicht um Jugendliche, die irgendwelche Streiche ausheckten, doch man konnte nie wissen; und schließlich lagen Grahams Großeltern irgendwo in der Nordwestecke. Er stellte den Wagen ab und schaltete den Motor aus. Dann folgte er zwischen den verwitterten Grabsteinen hindurch dem einsamen Lichtstreifen.
    Graham klappte die Mantelaufschläge über die Ohren und fragte sich kurz, was zum Teufel die Polizei von Wheelock eigentlich für ihr Geld tat, wenn er hier durch den Friedhof schleichen und sich, weiß der Himmel welchen Ärger einhandeln mußte.
    Bei einem japanischen Ahorn, der nackt und gebeugt wie eine alte Frau vor dem silbernen Profil des Mondes stand, blieb er stehen. Vor einem Grab saß auf einem Liegestuhl Jamie MacDonald.
    Seine Sturmlampe wackelte bedenklich auf Maggies Grabstein, der so neu war, daß Graham selbst auf diese Entfernung die tiefen Einkerbungen im Granit ausmachen konnte, mit denen ihr Name hineingemeißelt war.
    Jamie nickte einer Stimme zu, die Graham nicht hören konnte. »Ich weiß. Angus gibt sich alle Mühe, damit ich rausgehe; aber mir ist einfach nicht danach.« Jamie erhob sich und umrundete das Grab, sorgsam bedacht, nicht auf den Erdhaufen zu treten, unter dem man den Sarg begraben hatte. »Ich muß immerzu an dich denken«, sagte er leise. »Weißt du, ich konzentriere mich auf ein einziges Bild von dir und halte es den ganzen Tag über fest. Heute habe ich dich immerzu bei der Überraschungsparty zu meinem dreißigsten Geburtstag gesehen. Ich habe dir alles vermasselt, erinnerst du dich? – Seinerzeit bin ich früher von der Arbeit heimgekommen, weil ich dich zum Essen ausführen wollte, und du hast gerade meinen früheren Zimmerkameraden aus dem College ins Haus gelassen. Mein Gott, es war nicht zu fassen. Du hast Leute überzeugt, extra zu meinem Geburtstag aus Kalifornien oder Florida zu kommen – Freunde, die ich seit Jahren nicht mehr getroffen hatte. Aber was mich am meisten an dieser Party beeindruckte, war dein Anblick, als ich irgendwann mittendrin in die Küche kam, um mir noch ein Bier zu holen. Da hast du am Herd gestanden, diese riesige Fleischmenge in einen Topf geschüttet – ich glaube, es gab Chili – und mich angelächelt, während der Dampf dir die Haare rund ums Gesicht zu Locken ringelte. Du als Vegetarierin hast mich über diesen Topf voll rohen Fleischs hinweg angegrinst, als könntest du dir nichts Schöneres auf der Welt vorstellen. Und in dem Augenblick habe ich begriffen, wie groß deine Liebe war.«
    Jamie sank wieder in den Liegestuhl zurück, der gerade so weit vom Grabstein entfernt stand, daß er ihn mit den Fingerspitzen berühren konnte. Graham trat einen Schritt zurück und beobachtete, wie die Hände seines Mandanten den kalten, glatten Granit liebkosten, als wäre der Stein lebendig und nachgiebig wie die Haut einer Frau.
    Sie wollte ihn nicht sehen. Cam hatte Briefe ins Wheelock Inn geschickt und Nachrichten am Empfang hinterlegen lassen, weil Mia nicht ans Telefon ging; er hatte sogar einmal während seiner Nachtschicht an ihre Tür getrommelt, im Wissen, daß sie da war – doch sie hatte nicht reagiert. Er begann sich zu fragen, warum er sie überhaupt gebeten hatte zurückzukommen. In einem Ort mit ihr zu leben

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