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In einer regnerischen Nacht: Roman (German Edition)

In einer regnerischen Nacht: Roman (German Edition)

Titel: In einer regnerischen Nacht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
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anlegte, ihn in die Polizeistation schubste und die Zellentür aufsperrte. Cam hatte nur gelacht. »Glaub mir«, gab er ihm damals zu verstehen, »da kannst du jemanden finden, mit dem es mehr Spaß macht.«
    Cam war klar gewesen, daß Graham sich seines Fehlverhaltens eigentlich schämte. Er hatte das Gefühl gehabt, daß Graham nicht unbedingt bestraft werden mußte; er brauchte nur einen ordentlichen Denkzettel.
    In Grahams Augen war das eine eigenwillige, aber aufrichtige Art von Justiz. Und nun, Jahre später, war Cam in Grahams Büro gekommen, um ihn mit der Verteidigung seines Cousins zu beauftragen, eines Mannes, den er wenige Stunden zuvor wegen Mordes eingesperrt hatte. Doch Cam hatte um Verschwiegenheit gebeten. Vielleicht weil er wirklich glaubte, daß ein Pflichtverteidiger keine saubere Arbeit leisten würde; vielleicht weil er insgeheim mit dem armen Kerl fühlte, während er offiziell die Staatsanwaltschaft unterstützen mußte. Wie man es auch drehte, wie starrköpfig und überheblich Cam sich in diesem Fall auch verhalten mochte, er empfand etwas für Jamie; er mußte dafür sorgen, daß sich alles zu einem guten Ende fügte.
    Und genau da wollte Graham ansetzen: Er mußte der Jury zeigen, daß Cam sich ebenso viele Sorgen um Jamie machte, wie es die Geschworenen tun sollten.
    Der Anwalt starrte das schwarze Tastentelefon auf seinem Schreibtisch an. Er schaute aus dem Fenster auf die Polizeistation. Wenn er gut aufpaßte, konnte er es so einrichten, daß er zufällig mit Cam zusammenstieß, wenn der zum Mittagessen ins Café ging; auch könnte er grade auf der Straße sein, wenn Cam morgens ins Revier kam.
    Oder er konnte einfach die beste Waffe in seinem Arsenal einsetzen. Mit einem triumphierenden Lächeln nahm Graham den Hörer ab und wählte die Nummer von Glory in the Flower.
    Allie wand ein Stück Kupferdraht von ihrem Bonsaibaum und ließ es in einem schlampigen Knick vom Zweig baumeln. »Schau nur!« jubelte sie und zupfte an Cams Hemd. »Der Zweig bleibt fest!«
    Cam warf einen Blick auf das kleine Bäumchen. »Ganz schön«, meinte er teilnahmslos, »wenn man so was mag.«
    Allie begann, den Draht behutsam wieder um den Stamm und die Äste zu winden, wo die Rinde nicht durch die letzte Wickelung beschädigt war. »Also«, sagte sie, »ich mag es jedenfalls. Mia ist bestimmt stolz auf mich.«
    »Wieso ist Mia bestimmt stolz auf dich?« Die Stimme drang durch die Hintertür des Blumenladens, und dann kam Mia persönlich um die Ecke, den Arm voller Stechpalmen, Efeu und Pinienzapfen. Sie warf Cam einen knappen Blick zu und ließ ihn gleich wieder zurück auf den Arbeitstisch gleiten. Dann fiel ihr Bündel auf den Boden, und sie fegte sich die Nadeln von der Jacke. »Ich hasse Weihnachten«, verkündete sie, »und andauernd dieses Harz.«
    Allie nickte. »Du kriegst es nicht von den Händen und mußt die ganze Zeit damit weiterarbeiten.« Sie legte ihre Hand auf Cams Schulter und schwenkte die andere durch die Luft. »Schau dir meinen Ahorn an«, bat sie.
    Mia fuhr mit dem Finger den Ast nach. »Sehr schön«, sagte sie. Aus dem Augenwinkel sah sie Allies Hand über Cams Nacken streichen; Mia zwang sich zu Gleichmut.
    Cam nahm Allies Hand fort, vorgeblich, um sie zu halten; dann stand er auf und trat einen Schritt zurück. Er verstand nicht, wie es soweit hatte kommen können, daß er zwischen den beiden Frauen klemmte, so daß Allie Anspruch auf gewisse Dinge hatte – wie seinen Namen und sein Haus – und Mia auf andere – seine Stimmung, seine atmosphärischen Erinnerungen, die Stelle im Nacken, die Allie eben noch gestreichelt hatte.
    Er kam nicht gern in den Laden, aber trotzdem mindestens einmal am Tag, um Mia zu sehen. Seit einiger Zeit erzählte er Allie, daß er doppelte Schichten schob, mittwochs acht Stunden und die Nachtschicht bis zum folgenden Morgen dazu, weil ein Teilzeitbeamter weggezogen war und er einspringen mußte; in Wahrheit verbrachte er die Zeit mit Mia, die er in ihrem Hotelzimmer liebte, während Kafka sie von seinem Hochsitz auf dem Fernsehbrett aus beobachtete, mit großen und wissenden gelben Augen.
    Oft ging er mittwochs nach dem Abendessen kurz ins Bett, um gegen elf Uhr aufzuwachen, Allie an seiner Seite und die Buntglasnarzissen matt und schwarz im Fenster vor ihm. Dann zog er sich unbemerkt an und fuhr ins Wheelock Inn, wo er an der Seite parkte und über die Hintertreppe in den ersten Stock zu Mias Zimmer hinaufstieg. Er wechselte die Betten so nahtlos,

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