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In einer regnerischen Nacht: Roman (German Edition)

In einer regnerischen Nacht: Roman (German Edition)

Titel: In einer regnerischen Nacht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
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Jeder kannte irgendeine Geschichte von jemandem, der nach fünfzehn Jahren aus dem Koma erwacht war. Mußte das vorliegende Leiden langwierig sein? Schmerzhaft? Tödlich? Mußte der oder die Betreffende überhaupt krank sein?
    Dann war da noch die Tötungsart zu berücksichtigen. Warum war zum Beispiel Ersticken in Ordnung, wenn ein Schuß in den Kopf nicht in Frage kam?
    Graham setzte sich in einen kalten Metalliegestuhl und legte die Füße auf das Balkongeländer. Es gab Millionen Sterne da draußen und ebensoviele Facetten bei einer Verteidigung auf Euthanasie. Man konnte einfach kein Gesetz erlassen oder einen Musterfall schaffen; denn schon der nächste Fall würde aufgrund auch nur leicht verschobener Umstände dagegen verstoßen.
    Jamie MacDonald mochte vielleicht nicht geisteskrank wirken, möglicherweise war er nicht einmal vorübergehend unzurechnungsfähig gewesen, als er seine Frau umgebracht hatte; doch diese Tatsache konnte Graham umschiffen. Euthanasie … Euthanasie war einfach zu unsicher. Er seufzte, stand auf und blickte über die Dächer der Häuser von Wheelock, die von in gleichmäßigen Abständen brennenden Straßenlaternen erhellt wurden. Und er fragte sich, ob Jamie ebenfalls gerade ins Dunkel starrte.
    Als Cam am nächsten Tag im Revier erschien, war es bereits später Vormittag. Er schloß sein Büro auf und stellte das Buntglasbild hinter seinem Schreibtisch ab – Allie würde am Nachmittag zurückkommen, und er hatte es für den Fall mitgenommen, daß sie bei ihm hereinschneite, bevor sie nach Hause fuhr. Dann wand er sich aus seiner Jacke und hängte sie ordentlich auf.
    Sobald er an seinem Schreibtisch saß, lehnte er sich in seinem Stuhl zurück und ließ seine Gedanken schweifen. Als jemand an die Tür klopfte, zuckte er zusammen. Er brüllte: »Herein«, die Tür schwang auf, und vor ihm stand Hannah, dicht gefolgt von Jamie MacDonald. »Chief«, sagte sie, »es ist Mittag.«
    Cam blickte auf die Uhr. Es war genau 11 Uhr 59. Dieser verdammte Jamie; er befolgte Martha Sullys Anweisungen auf die Minute – war noch kein einziges Mal nach 12 Uhr erschienen, um sich bei Cam zu melden. Und es lief jedesmal die gleiche Prozedur ab – Hannah klopfte an seine Tür und schleifte Jamie hinter sich her wie einen unartigen Schulbuben. Dann fragte Jamie ihn, wie es ihm heute ging, worauf Cam grunzte und ihn mit einem Kopfnicken verabschiedete.
    »Chief MacDonald«, sagte Jamie freundlich, wobei er im Türrahmen stehenblieb. Er nannte Cam nie anders, und aus irgendeinem Grund hatte die Bezeichnung einen ironischen Beigeschmack. »Wie geht's heute morgen?«
    Mit gerunzelter Stirn sah Cam von seinem Schreibtisch auf. »Ich wollte dir dafür danken«, fuhr Jamie ruhig fort, »daß du mir deine Frau geliehen hast.«
    Bei diesen Worten erstarrte Cam das Blut in den Adern. Er sah Jamie grimmig an, mit sprühendem Zorn im Blick über die peinliche – wenn auch falsche – Intimität, die diese Bemerkung andeutete. »Geh schon«, forderte er ihn leise auf, die Stimme dünn und scharf wie der Brieföffner, den er unbewußt in die Linke genommen und wie eine Waffe gezückt hatte.
    Cam brauchte fast den ganzen Nachmittag, bis er sich wieder beruhigt hatte. Er saß immer noch in seinem dunklen Büro, den Kopf auf dem Schreibtisch, und schöpfte tief und verzweifelt Luft, als Hannah mit der Post hereinkam. »Meine Güte«, sagte sie und trat hinter ihn, um die Vorhänge aufzuziehen und das Fenster einen Spalt weit zu öffnen. »Hier sieht es ja aus wie in einem Mausoleum.« Sie ließ das Päckchen mit Briefumschlägen auf Cams gesenkten Kopf segeln. »Die Telefonrechnung ist auch dabei«, ergänzte sie, bevor sie wieder hinausging. »Einer der Anrufe nach Kanada geht auf mein Konto. Ich habe ihn bereits von meinem Gehalt abgezogen.«
    Seufzend sah Cam die Post durch. Werbung, Werbung, eine Anfrage von einem Anwalt, noch mehr Werbung, die Telefonrechnung. Und ein kleinerer Umschlag aus dem Wheelock Inn, der Cams Herz zum Pochen brachte, noch bevor er ihn aufgeschlitzt hatte.
    Cameron, schrieb sie, bitte gib Allie die Schlüssel und sag ihr, daß es mir leid tut. Der Kupferdraht an den Bonsais müßte im Februar endgültig abgenommen werden.
    Ich kann Dir nichts weiter sagen, außer daß ich nicht hierbleibe. Natürlich ist das feige; es tut mir leid.
    Noch eines gehört hierher: Ich habe eine ganze Reihe von Männern gern gehabt und mit manchen geschlafen, aber geliebt habe ich nur Dich.
    Als Cam ans

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