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In einer Winternacht

In einer Winternacht

Titel: In einer Winternacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Higgins Clark
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Verbrechen.
Jedes Kind in der Tagesstätte hatte eine Rolle im Krippenspiel
und den Auftrag erhalten, den Text auswendig zu lernen. Die
Chanukka-Geschichte und das dazugehörige Lied sollten vor
dem Krippenspiel vorgetragen werden.
Darauf würde die Szene folgen, in der der Erlaß von Kaiser
Augustus verlesen wurde, daß sich jeder Bürger wegen einer
Volkszählung in das Dorf seiner Geburt begeben müsse. Cordelia und Alvirah hatten das Stück selbst geschrieben, und Maeve Marie hatte sie sehr dafür gelobt, daß diese erste Szene so viele Sprechrollen enthielt. Die Kinder hatten großen Spaß daran. Außerdem war der Text eingängig und leicht zu merken. »Aber das Dorf meines Vaters ist so weit weg.«
»Die Reise ist sehr weit, und ich habe niemanden, der sich um meine Kinder kümmert.«
»Wir müssen jemanden finden, denn das Wichtigste ist, daß unsere Kinder gut beaufsichtigt werden.«
Wie Cordelia zugab, hatte sie sich bei den Dialogen einige dichterische Freiheiten erlaubt. Doch sie wollte die Mitarbeiter der Baubehörde zur Vorstellung einladen und ihnen eine eindeutige Botschaft vermitteln: Nichts ist wichtiger, als daß unsere Kinder gut aufgehoben sind.
Nur den Kindern, die die heiligen drei Könige, die Jungfrau Maria und den heiligen Joseph spielten, waren nicht einfach wahllos Textzeilen zugeteilt worden. Es handelte sich um die besten Sänger in der Gruppe, die in der Stallszene ein Lied anstimmen sollten.
Jerry Nuñez, der schlimmste Rabauke unter den Jüngeren, würde den Joseph darstellen, und Stellina Centino, eine Siebenjährige, die einen seltsam feierlichen Ernst ausstrahlte, spielte die Maria.
Stellina und Jerry wohnten in derselben Straße. Jerrys Mutter holte die beiden jeden Abend ab. »Stellinas Mama ist nach Kalifornien abgehauen, als die Kleine noch ein Baby war«, hatte Mrs. Nuñez den Nonnen erklärt. »Und ihr Vater ist viel unterwegs. Ihre Großtante Lilly hat sie aufgezogen, doch in letzter Zeit war die arme Lilly häufig krank. Und Sie können sich nicht vorstellen, welche Sorgen sie sich um Stellina macht. ›Gracie, ich bin jetzt zweiundachtzig‹, sagt sie immer. ›Und ich muß noch zehn Jahre leben, bis das Kind erwachsen ist. Darum bete ich.‹«
»Stellina ist so ein hübsches Mädchen«, dachte Maeve, während sie die Kinder für die letzte Szene aufstellte. Die dunkelblonden, langen Locken des Mädchens wurden im Nacken von einer Spange zusammengehalten. Große, dunkle Augen mit dichten, schwarzen Wimpern strahlten aus einem Gesicht, dessen Haut so glatt war wie Porzellan.
Jerry, der sich einfach nicht ruhighalten konnte, streckte einem der Schäfer die Zunge heraus. Bevor Schwester Maeve Marie Gelegenheit hatte, ihn zurechtzuweisen, sagte Stellina: »Jerry, wenn du der heilige Joseph bist, mußt du sehr brav sein.« »Okay«, stimmte Jerry sofort zu und nahm eine starre, fast übertrieben würdevolle Haltung ein.
»Der Engelschor fängt an zu singen, die Schäfer sehen die Engel und hören zu, und du, Tommy, zeigst auf sie und… Was sagst du dann?« fragte Schwester Maeve Marie.
»Guten Abend«, schlug der sechsjährige Tommy vor. Schwester Maeve Marie mußte ein Lächeln unterdrücken und dachte daran, wie ihre großen Brüder sie als Kind dazu angestiftet hatten, das Vaterunser zu verballhornen. Tommy hatte auch einen großen Bruder, der ein ausgesprochener Schlaumeier war. Bestimmt hatte er Tommy diesen Unsinn beigebracht. »Tommy, du mußt den Text richtig aufsagen. Wenn du weiter herumalberst, darfst du nicht den obersten Schäfer spielen«, ermahnte sie den Jungen streng.
Um sechs war die Probe zu Ende. Nicht schlecht fürs erstemal, befand Maeve Marie und lobte die Kinder für ihre Leistung. Und das beste daran war, daß es den Kleinen offensichtlich Spaß machte.
Obwohl es auch ihr Freude bereitet hatte, den Kindern beim Proben zuzusehen, wurde sie ihre Sorge einfach nicht los, und sie hatte das unbestimmte Gefühl, daß etwas nicht in Ordnung war. Wo steckte Cordelia, und was war geschehen?
Während Maeve den Kindern half, ihre Jacken, Fäustlinge und Schals zu finden, fiel ihr auf, daß Stellina ihre schicke, dunkelblaue Winterjacke ordentlich aufgehängt hatte. Das kleine Mädchen hatte ihr voller Stolz erklärt, ihre Nonna habe die Jacke selbst genäht.
Um halb sieben waren alle Kinder bis auf Jerry und Stellina von ihren Eltern oder älteren Geschwistern abgeholt worden. Um viertel vor sieben ging Schwester Maeve Marie mit den beiden hinunter in den

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