In einer Winternacht
Nonna sich wohlfühlte, stand sie abends in der Küche. Die Wohnung roch dann köstlich nach Spaghettisauce. Heute aber lag Nonna mit geschlossenen Augen im Bett. Allerdings war Stella sicher, daß sie nicht schlief, denn ihre Lippen bewegten sich. Wahrscheinlich betet sie, dachte Stellina. Nonna betete viel.
Stellina küßte sie auf die Wange. »Nonna, ich bin wieder da.« Seufzend schlug Nonna die Augen auf. »Ich habe mir solche Sorgen gemacht. Dein Papa ist nach Hause gekommen. Er sagte, er wollte dich abholen und dich ausführen. Aber mir gefällt das nicht. Wenn er dich abholen kommt, dann sag, Nonna möchte, daß du mit Mrs. Nuñez nach Hause gehst.«
»Daddy ist da?« fragte Stellina. Sie versuchte, sich ihren Widerwillen nicht anmerken zu lassen. Nicht einmal Nonna konnte sie gestehen, wie schade sie es fand, daß er wieder aufgetaucht war. Aber es stimmte. Wenn Daddy zu Hause war, stritten er und Nonna die ganze Zeit. Und Stellina ging auch nicht gerne mit ihm aus, denn manchmal besuchten sie Leute, mit denen er sich ebenfalls stritt. Hin und wieder gaben die Leute ihm Geld, und er beschwerte sich darüber, daß es zu wenig war. Meistens sagte er, das, was er ihnen gebracht habe, sei viel mehr wert.
Nonna stützte sich auf den Ellenbogen und stand langsam auf. »Sicher hast du Hunger, cara. Komm, ich mache dir etwas zu essen.«
Stellina streckte den Arm aus, um Nonna zu stützen. »Du bist ein liebes Mädchen«, murmelte Nonna auf dem Weg in die Küche.
Stellina hatte tatsächlich Hunger, und Nonnas Spaghetti waren einfach ein Gedicht. Doch sie brachte aus Angst um ihre Großtante kaum einen Bissen herunter. Nonna wirkte besorgt, und sie atmete schwer, als ob sie gelaufen wäre.
Das Geräusch des Schlüssels im Schloß sagte ihnen, daß Daddy zu Hause war. Nonna runzelte die Stirn, und Stellinas Mund wurde ganz trocken, denn sie ahnte, daß es gleich wieder zu einer Auseinandersetzung kommen würde.
Lenny betrat die Küche, eilte auf Stellina zu und hob sie hoch. Nachdem er sie herumgewirbelt und geküßt hatte, meinte er: »Star, mein Kind. Ich habe dich vermißt.«
Stellina versuchte, sich loszureißen. Er tat ihr weh. »Laß sie runter, du Rabauke!« rief Nonna. »Und dann verschwinde! Komm nie mehr wieder! Ich will dich hier nicht sehen! Hau ab! Laß uns in Ruhe!«
Anders als sonst wurde Lenny nicht wütend. Er lächelte nur. »Tante Lilly, vielleicht verschwinde ich wirklich für immer. Doch in diesem Fall nehme ich Star mit. Das kannst weder du noch sonst jemand verhindern. Vergiß nicht, ich bin ihr Vater.«
Mit diesen Worten drehte er sich um, stürmte hinaus und knallte die Tür hinter sich zu. Stellina bemerkte, daß Nonna zitterte. Schweißperlen standen ihr auf der Stirn. »Nonna, Nonna, hab keine Angst«, sagte sie. »Er wird mich nicht mitnehmen.«
Nonna brach in Tränen aus. »Stellina«, erwiderte sie, »falls ich je krank werde und nicht mehr bei dir sein kann, darfst du nie mit deinem Daddy mitgehen. Ich werde Mrs. Nuñez bitten, sich um dich zu kümmern. Aber versprich mir, daß du dich von deinem Vater fernhältst. Er ist ein schlechter Mensch, der ständig in Schwierigkeiten steckt.«
Während Stellina versuchte, ihre Großtante zu trösten, hörte sie sie flüstern: »Aber er ist der Vater, der Erziehungsberechtigte. Lieber Gott, was soll ich bloß tun?«
Stellina fragte sich, warum ihre Nonna wohl weinte. 9
W
ie immer, wenn sie über der Aufklärung eines möglichen
Verbrechens brütete, blieb Alvirah der Schlaf der Gerechten versagt. Nach den Elf-Uhr-Nachrichten, die Willy und sie sich im Bett angesehen hatten, hatten sie das Licht gelöscht. Doch Alvirah war unruhig. Die nächsten sechs Stunden döste sie vor sich hin und wurde von seltsamen, beängstigenden Träumen gepeinigt. Und dann war sie auf einen Schlag hellwach.
Um halb sechs beschloß sie endlich, Mitleid mit Willy zu haben, der im Halbschlaf immer wieder »Ist alles in Ordnung, Schatz?« murmelte. Sie stand auf, schlüpfte in ihren alten Lieblingsmorgenmantel aus Chenille und steckte sich die Brosche mit dem winzigen Mikrophon an. Dann griff sie zu einem Stift und dem Ringbuch, in dem sie die Ergebnisse der laufenden Ermittlungen festhielt. Nachdem sie sich eine Tasse Tee gemacht hatte, ließ sie sich an dem kleinen Eßtisch nieder, von dem aus man den Central Park sehen konnte. Sie schaltete das Mikrophon in ihrer Brosche ein und begann, laut zu denken.
»Es wäre Bessie durchaus zuzutrauen, daß sie
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