In einer Winternacht
schon«, entgegnete Alvirah mit dem Brustton der Überzeugung, obwohl sie sich ihrer Sache gar nicht so sicher war. »Ich weiß auch schon, wo ich anfangen muß. Nachdem ich bei Monsignore Tom war, werde ich das Maklerbüro James und Eileen Gordon aufsuchen und behaupten, daß ich eine Eigentumswohnung suche. Die beiden werden mich in den nächsten Wochen nicht mehr loswerden. Vielleicht sind sie ja Komplizen der Bakers, oder sie sind ebenfalls von ihnen getäuscht worden. Doch ganz gleich, wie es sich verhält, ich werde es rauskriegen.«
L
enny Centino hatte es bis jetzt geschafft, einen Bogen um Gefängnisse zu machen, weil er nicht übertrieben geldgierig war. Er lieferte Drogen nur in kleinen Mengen und in unregelmäßigen Abständen. Und abgesehen von Detective Joe Tracy, auf dessen Abschußliste er ganz oben stand, war es ihm gelungen, der Polizei aus dem Weg zu gehen. Außerdem verkaufte er die Drogen nicht, er verteilte sie nur, worauf im Fall einer Verhaftung eine geringere Strafe stand. Und da das Rauschgift im voraus bezahlt wurde, hatte er auch mit den
finanziellen Transaktionen nichts zu tun. Inzwischen galt er bei Dealern wie Konsumenten gleichermaßen als zuverlässig, und da er nie Stoff für sich selbst abzweigte, waren seine Dienste sehr gefragt.
Dennoch blieben Drogengeschäfte auch weiterhin riskant, weshalb Lenny sich ein zweites Standbein geschaffen hatte: Er arbeitete hin und wieder als Fahrer bei einem Getränkemarkt und konnte beim Ausliefern der Getränke die Wohnungen der Kunden in Augenschein nehmen. Außerdem war er ein begnadeter Einbrecher. Er schlug nur zu, wenn er wußte, daß die Bewohner ausgeflogen waren, und gab sich lediglich mit Schmuck und Bargeld ab.
Seine erfolgreiche Karriere als Kirchenräuber hatte mit dem Einbruch in St. Clement ein Ende gefunden. Es brachte zwar viel ein, Opferstöcke zu knacken, doch der stille Alarm und der folgenreiche Zwischenfall mit dem Baby hatten ihm vor Augen geführt, daß diese Betätigung immer gefährlicher wurde. Inzwischen waren sogar kleinere Gemeinden schlau genug, Alarmanlagen einbauen zu lassen.
Lenny hielt sich für gerissen und unschlagbar und war sicher, daß seine Verbindungsleute gern wieder mit ihm zusammenarbeiten würden. Am Montag traf er sich mit ein paar alten Kumpeln auf ein Bier und prahlte damit, was er seit September so getrieben hatte: Er war für eine Firma tätig gewesen, die, getarnt durch einen Computerhandel, Stoff vertrieb. Allerdings ahnte Lenny nicht, daß sich ein verdeckter Ermittler bei seinen Freunden eingeschlichen hatte. Nachdem der Beamte auf dem Revier Bericht erstattet hatte, beschloß Detective Tracy, Lenny beschatten zu lassen und seinen VMann mit einem versteckten Mikrophon auszustatten. Die Polizei wiederum ahnte nicht, daß Lenny mit einer solchen Situation gerechnet und die nötigen Vorsichtsmaßnahmen getroffen hatte. In Mexiko besaß er einen Schlupfwinkel, und er verfügte auch über einige Ersparnisse und über falsche Ausweispapiere. Aber seit seiner Rückkehr hatten sich Lennys Fluchtpläne ein wenig geändert. Tante Lilly hatte offensichtlich nicht mehr lange zu leben. Lenny hatte Star sehr gern, und außerdem war sie eine großartige Tarnung für seine Machenschaften. Er betrachtete sie als Talisman und beschloß, sie mitzunehmen, falls er das Land verlassen mußte.
Immer wieder sagte er sich, daß er ihr Daddy war und deshalb für sie sorgen mußte.
Und noch ein weiterer Vorteil war nicht von der Hand zu weisen, obwohl Lenny es nicht aussprach: Ein Mann, der mit einem kleinen Mädchen reiste, würde wohl kaum für einen flüchtigen Verbrecher gehalten werden.
S
ondra hatte sich geschworen, von nun an einen Bogen um St. Clement zu machen. Wenn Großvater nicht zum Konzert kommen würde, wäre ich schon längst zur Polizei gegangen, sagte sie sich. Ich kann so nicht weiterleben. Falls jemand meine Tochter gefunden, den Zettel gelesen und beschlossen hat, das Baby zu behalten und in New York aufwachsen zu lassen, dann sicher mit einer gefälschten Geburtsurkunde. Schließlich konnte die Finderin jederzeit behaupten, sie hätte das Baby zu Hause zur Welt gebracht. Im Hotel wußte ja auch niemand, daß ich ein Kind bekommen habe – ich hatte nicht einmal richtige Wehen.
Weh getan hat es erst viel später, dachte sie, als sie Sonntagnacht wach im Bett lag. Im Morgengrauen döste sie endlich ein. Und da sie nur ein paar Stunden geschlafen hatte, erwachte sie mit rasenden
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