In Einer Zaertlichen Winternacht
Gesetz war auf seiner Seite.
Er hatte die Oberhand, und das sollte offenbar niemand in diesem Raum
vergessen.
Daisy, die
zwar nicht verstand, was genau vor sich ging, war so verängstigt, dass sie ihr
Gesicht in Julianas Mieder drückte und weinte. Ihre kleinen Schultern bebten.
Juliana küsste sie auf den Kopf und streichelte ihr kohlschwarzes Haar.
»Ich
glaube, bisher habe ich noch nie einen Indianer heulen sehen«, überlegte Mr
Philbert laut.
Wieder
wollte Tom aufspringen, und wieder hielt Wes ihn davon ab.
»Daisy«,
sagte Lincoln mit der sachlichen Stimme eines Anwalts vor Gericht, »ist ein
Kind. Sie ist drei Jahre alt. Sie machen ihr Angst, und das kann ich nicht
hinnehmen.«
»Ich habe
die Befugnis ...«
»Genau wie
ich«, unterbrach Lincoln ihn ruhig. »Dies ist mein Haus. Meine Ranch. Und wenn
Sie diese Kinder irgendwohin bringen wollen, brauchen Sie eine gerichtliche Anordnung
und die halbe Armee der Vereinigten Staaten, um das durchzusetzen. Haben Sie
eine gerichtliche Anordnung, Mr Philbert?«
»Nun, das
nicht, aber ...«, stotterte Mr Philbert.
»Dann
besorgen Sie sich besser eine. Doch bevor Ihnen das gelingen wird, habe ich
bereits in Helena die Adoption durchgesetzt. Dann sind Daisy und Bill im Auge
des Gesetzes genauso meine Kinder wie Gracie.«
Darüber
dachte Mr Philbert einen Moment nach. Schließlich setzte er ein resigniertes
Lächeln auf und fragte: »Es gibt nicht zufällig Nachtisch?«
Eine Stunde
später, nachdem er sein Mahl mit zwei Obstpastetchen abgeschlossen hatte,
überreichte er Juliana einen Scheck über ihr letztes Monatsgehalt und wies sie
darauf hin, dass sie ihn bloß nicht als Referenz angeben sollte, falls sie sich
jemals wieder als Lehrerin um eine Stelle bewarb.
Und damit
war er auch schon verschwunden.
Um kein Risiko einzugehen – für den
Fall, dass Mr Philbert seine Meinung änderte –, standen Tom und Lincoln am
nächsten Morgen noch früher auf als üblich. Sie spannten den Wagen an, während
Juliana Joseph und Theresa beim Packen half. Sobald die beiden zusammen mit Tom
den Zug in Richtung Osten bestiegen hatten, wollte Lincoln nach Helena
weiterfahren und dem Richter die Adoptionspapiere überreichen.
Juliana
wagte kaum zu hoffen, dass das Bureau of Indian Affairs sich nicht doch
noch einmischen würde. Sie versuchte, sich nichts anmerken zu lassen, doch als
sie sah, wie Joseph und Theresa die neuen Mäntel zuknöpften, die Lincoln ihnen
zu Weihnachten geschenkt hatte, war sie vollkommen verzweifelt. Natürlich
würden die beiden sie und die anderen Kinder vermissen, doch ihre Gesichter
glänzten vor Glück. Endlich durften sie nach Hause, dorthin, wo sie wirklich
hingehörten.
Nach der
Abschiedsumarmung brachte Juliana es nicht fertig, ihnen durch das Fenster
hinterherzusehen, wie sie auf den Wagen kletterten. Bestimmt würden ein paar
Briefe kommen, zumindest von Theresa, aber wegen der Entfernung war es unwahrscheinlich,
dass sie sich jemals wiedersehen würden. Und nach und nach würde der
Briefkontakt einschlafen, trotz bester Absichten.
Gracie nahm
ihre Hand. »Sei nicht traurig, Mom«, sagte sie. »Bitte, sei nicht traurig.«
Aber
Juliana brach in Tränen aus, als sie Gracie in die Arme nahm.
Lincoln kam
noch einmal ins Haus, um sich zu verabschieden. »Ich komme in ein paar Tagen
zurück«, sagte er. »Ben und die anderen kümmern sich um die Tiere. Falls
Philbert hier auftaucht, schicke einen von ihnen in die Stadt, damit sie Wes
holen.«
Kaum fähig,
seinen Worten zu folgen, nickte sie stumm. Der Abschied von Lincoln fiel ihr
aus irgendeinem Grund noch schwerer als alles andere.
Er gab ihr
einen langen Kuss.
Und dann
war auch er fort.
Billy-Moses,
der die ganze Zeit still neben dem Ofen gesessen hatte, Klötzchen
übereinandergestapelt, wieder umgeworfen und wieder gestapelt hatte, sauste
auf einmal zur Tür und warf sich dagegen, während er laut schluchzend
versuchte, den Riegel zu öffnen. Juliana lief zu ihm, kniete sich neben ihn und
zog ihn in die Arme. Leise murmelnd strich sie über sein Haar.
Er weinte
über Theresa, über Joseph und Lincoln, stieß abwechselnd jeden einzelnen Namen
aus und schrie vor Kummer. Selbst in Tränen aufgelöst, nahm Juliana den Jungen
auf den Arm und trug ihn zum Schaukelstuhl.
Es dauerte
lange, bis er sich beruhigt hatte. Juliana schaukelte und streichelte ihn, bis
er in einen erschöpften Schlaf fiel.
Gracie
stellte sich mit ernstem Gesicht neben sie. »Möchte Billy nicht mein Bruder
sein?
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