In eisige Höhen
McKinley zu besteigen. Und sie hat ja gesagt.«
Zwei Jahre später heirateten sie. 1993 stieg sie mit Hall auf den Gipfel des Everest. 1994 und 1995 trekkte sie bis zum Basislager mit und arbeitete als Expeditionsärztin. Arnold wäre auch dieses Jahr wieder an den Berg zurückgekehrt, wenn sie nicht im siebten Monat schwanger gewesen wäre und ihr erstes Kind erwartet hätte. So ging der Job an Dr. Mackenzie.
Am Donnerstag, unserem ersten Tag in Pheriche, luden Laura Ziemer und Jim Litch Hall, Harris und Helen Wilton, unsere Basislagerleiterin, nach dem Abendessen auf ein Glas in die Klinik ein, um den neuesten Klatsch auszutauschen. Im Laufe des Abends kam man auf die Risiken zu sprechen, mit denen eine
Besteigung des Everest – auch für den Bergführer – verbunden ist. Litch kann sich noch an jedes Wort mit gespenstischer Klarheit erinnern: Hall, Harris und Litch waren sich vollkommen einig darüber, daß früher oder später eine Riesenkatastrophe, bei der eine größere Anzahl an zahlenden Amateuren draufgehen würde, »unausweichlich« sei. »Aber«, sagt Litch – der den Everest im Jahr zuvor im Frühling bestiegen hatte –, »Rob hatte das Gefühl, daß es nicht ihn treffen würde. Er hat nur Angst gehabt, ›einem anderen Team den Arsch retten zu müssen‹. Und wenn die unvermeidliche Katastrophe kommt, dann sei er sich ›sicher, daß sie auf der gefährlicheren Nordseite passiert‹« – der tibetanischen Seite des Gipfels.
Am Samstag, dem 6. April, ein paar Stunden Fußmarsch oberhalb von Pheriche, erreichten wir das untere Ende des Khumbu-Gletschers, einer zwölf Meilen langen Eiszunge, die sich von der Südflanke des Everest in die Tiefe schlängelt und uns als Highway zum Gipfel diente – so hoffte ich wenigstens. In einer Höhe von mittlerweile knapp 5 ooo Metern hatten wir die letzten Spuren von Vegetation hinter uns gelassen. Auf dem Scheitel der Endmoräne des Gletschers starrten zwanzig nebeneinander aufgestellte Grabsteine düster auf das nebelverschleierte Tal hinab: Denkmäler für die Bergsteiger, die auf dem Everest ihr Leben gelassen hatten, größtenteils Sherpas. Von nun an war unsere Welt eine windgepeitschte einfarbige Einöde aus Fels und Eis. Und obwohl wir nur in mäßigem Tempo gingen, spürte ich allmählich die Auswirkungen der Höhenluft. Ich fühlte mich ein wenig benommen und war ständig außer Atem.
Der Pfad lag an vielen Stellen unter einer dichten Schneedecke begraben. Als dann der Schnee in der Nachmittagssonne weicher wurde, stießen die Hufe unserer Yaks durch die angefrorene oberste Schicht, und die Tiere versanken bis zu den Bäuchen im Schnee. Die grummelnden Yaktreiber peitschten ihre Tiere vorwärts und drohten umzukehren. Gegen Abend erreichten wir Lobuje, ein kleines Dorf, wo wir in einer beengten, phänomenal dreckigen Herberge Zuflucht vor dem Wind suchten.
Lobuje war ein düsterer, trostloser Ort, der aus einer Ansammlung niedriger Baracken bestand, die sich an die Ausläufer des Khumba-Gletschers drängten. Das Dorf war rammelvoll mit Sherpas, Bergsteigern von einem Dutzend verschiedener Expeditionen, deutschen Trekkern und ganzen Herden ausgezehrter Yaks – allesamt auf dem Weg zum Basislager des Everest, das immer noch eine Tagesreise entfernt lag. Der Stau, klärte uns Rob auf, war auf die zu dieser Jahreszeit noch ungewöhnlich dichte Schneedecke zurückzuführen, die bis gestern sämtliche Yak-Treks Richtung Basislager verhindert hatte. Die fünf, sechs Herbergen des kleinen Dörfchens waren völlig überfüllt. An den wenigen schneefreien Stellen drängten sich Zelte auf schlammigem Untergrund. Scharen von Rai-und Tamang-Trägern aus den tiefer gelegenen Vorbergen – in ihren dünnen Lumpen und Gummilatschen arbeiteten sie als Lastenträger für verschiedene Expeditionen – übernachteten in Höhlen und unter Felsblöcken am Fuße der Abhänge.
Die drei oder vier Steintoiletten in dem Nest waren buchstäblich mit Exkrementen überschwemmt. Die Klosetts waren dermaßen ekelerregend, daß die meisten – Nepalesen wie Westler es vorzogen, sich im Freien zu entleeren, wo immer es einen überkam. Überall lagen riesige, stinkende Kothaufen, in die man unweigerlich reintrat. Der Fluß, der sich aus Schmelzwasser speiste und sich durch die Mitte der Siedlung schlängelte, war eine öffentliche Kloake.
Der Hauptsaal der Herberge, in der wir abgestiegen waren, war mit gezimmerten Wanddoppelkojen für etwa dreißig Personen ausgestattet. Ich
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