In eisige Höhen
fand ein freies Bett auf der oberen Ebene, schüttelte aus der fleckigen Matratze so viele Flöhe und Läuse heraus wie möglich und rollte meinen Schlaf sack aus. An der linken Wand stand ein kleiner Heizofen aus Eisen, der mit getrocknetem Yakdung befeuert wurde. Nach Sonnenuntergang fiel die Temperatur weit unter den Gefrierpunkt, und schon bald strömten scharenweise Träger aus der bitterkalten Nacht herein, um sich an dem Ofen zu erwärmen. Weil Dung selbst unter besten Bedingungen nur schlecht brennt und in der sauerstoffarmen Höhenluft von 5000 Meter über Meereshöhe noch schlechter, füllte sich die Herberge mit dichtem, beißendem Rauch, so als würden die Abgase eines Dieselbusses direkt ins Zimmer geleitet werden. In der Nacht mußte ich zweimal mit Dauerhusten ins Freie fliehen, um wieder Luft zu schöpfen. Morgens brannten meine blutunterlaufenen Augen. Meine Nase war von schwarzem Ruß verstopft, und ich bekam einen trockenen hartnäckigen Husten, den ich bis zum Ende der Expedition nicht mehr loswerden sollte.
Rob hatte für uns eigentlich nur einen Tag in Lobuje geplant, an dem wir uns nochmals akklimatisieren sollten, bevor wir die letzten sechs, sieben Meilen zum Basislager in Angriff nahmen. Unsere Sherpas waren bereits einige Tage zuvor dort eingetroffen, um für unsere Ankunft alles vorzubereiten und auf den unteren Hängen des Everest eine Route zu legen. Am Abend des 7. April kam jedoch ein erschöpft nach Atem ringender Bote mit einer bestürzenden Nachricht aus dem Basislager an: Tenzing, ein junger, von Rob angeheuerter Sherpa, war fünfzig Meter tief in eine Gletscherspalte gestürzt. Vier andere Sherpas hatten ihn dort zwar lebend wieder herausgehievt, aber er war ernsthaft verletzt, hatte sich möglicherweise den Oberschenkel gebrochen. Rob verkündete aschfahl, daß er mit Mike Groom bei Morgengrauen ins Basislager eilen würde, um Tenzings Bergung zu organisieren. »Tut mir leid, daß ich euch das sagen muß«, fuhr er fort, »aber alle anderen müssen mit Harold hier in Lobuje bleiben, bis wir die Situation unter Kontrolle haben.«
Tenzing war, wie wir später erfuhren, mit vier anderen Sherpas auf einem relativ harmlosen Abschnitt des Khumbu-Gletschers dabei gewesen, die Route oberhalb von Camp Eins zu erkunden. Die fünf Männer gingen vernünftigerweise im Gänsemarsch, hatten sich aber nicht angeseilt – eine schwere Mißachtung von Bergsteigerregern. Tenzing ging direkt hinter den anderen vier, trat genau in die Fußstapfen der anderen – und dann brach er durch eine dünne, trügerische Schneeschicht, die
eine tiefe Gletscherspalte verdeckte. Bevor er auch nur schreien konnte, fiel er wie ein Stein in die gespenstischen, vorzeitlichen Eingeweide des Gletschers.
Da man mit 6 250 Metern zu hoch war, um die Evakuierung mit einem Hubschrauber sicher über die Bühne zu bringen – die Luft bot den Flügelblättern zu geringen Widerstand und machte Landen, Abheben oder auch nur Schweben zu einem unkalkulierbaren Risiko –, beschloß man, Tenzing knapp 1000 Höhenmeter zum Basislager hinunterzutragen, und zwar ausgerechnet durch den Khumbu-Gletscherbruch hindurch, einem der steilsten, tückischsten Abschnitte des gesamten Berges. Die Bergung Tenzings war also ein riesiger Kraftakt.
Rob war stets um das Wohlergehen seiner angestellten Sherpas bemüht. Bevor wir alle Katmandu verließen, hatte er uns zusammengerufen und uns in einem ungewöhnlich strengen Vortrag ermahnt, den Sherpas gegenüber Erkenntlichkeit und angemessenen Respekt zu zeigen. »Die Sherpas, die wir angeheuert haben, sind weit und breit die besten in dem Busineß«, erklärte er. Sie arbeiten unglaublich hart für nach westlichen Maßstäben wenig Geld. Ich will, daß euch immer bewußt ist, daß wir ohne ihre Hilfe absolut
keine
Chance hätten, auf den Gipfel des Everest zu kommen. Ich wiederhole: Ohne die Unterstützung unserer Sherpas hat niemand von uns die geringste Chance, den Berg zu besteigen.«
In einer darauffolgenden Unterhaltung gestand Rob, daß er in den vergangenen Jahren immer wieder einige Expeditionsführer kritisiert hatte, weil sie nicht ausreichend auf das Wohl und Wehe der Sherpas geachtet hatten. 1995 kam ein junger Sherpa auf dem Everest um. Hall vermutete, daß das Unglück deshalb passiert sein könnte, weil dem Sherpa »erlaubt wurde, ohne angemessenes Training hoch am Berg zu klettern. Ich bin der Meinung, daß diejenigen, die diese Trips leiten, dafür verantwortlich sind, daß
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