In eisige Höhen
allerdings die Spitze seines Eispickels seinen Unterschenkel durchbohrt und schaute nun auf der anderen Seite wieder heraus. Beim Herausziehen des hohlen, röhrenförmigen Pickels kam ein großes Stück inneres Gewebe mit; das Loch, das es hinterließ, war groß genug, um einen Bleistift durchzustecken. Fischer sah keinen Grund, wegen einer solch geringfügigen Verletzung seine begrenzten finanziellen Mittel auf eine medizinische Behandlung zu verschwenden und kletterte die nächsten sechs Monate mit einer offenen, eiternden Wunde. Fünfzehn Jahre später zeigte er mir stolz die Narbe jenes Sturzes: zwei glänzende, pfenniggroße Male zu beiden Seiten der Achillessehne.
»Scott trieb sich bis zu den Grenzen seiner physischen Belastbarkeit und darüber hinaus«, erinnert sich Don Peterson, ein bekannter amerikanischer Bergsteiger, der Fischer kurz nach dem Bridal-Veil-Sturz kennengelernt hatte. Peterson wurde für Fischer so etwas wie ein Mentor und unternahm mit ihm über die nächsten zwanzig Jahre immer wieder Klettertouren. »Seine Willenskraft war schon erstaunlich. Egal, wie stark die Schmerzen waren – er hat sie ignoriert und weitergemacht. Wenn ihm die Füße weh getan haben, ist er nicht umgekehrt. War einfach nicht seine Art.
Scott hatte diesen brennenden Ehrgeiz, ein großer Bergsteiger zu sein, einer der besten der Welt. Im NOLs-Hauptquartier gab es so eine Art Turnhalle, irgendein behelfsmäßiger Bau. Scott ging da rein und trainierte regelmäßig so hart, daß er sich übergeben mußte. Regelmäßig. Gibt nicht viele Leute mit so einem Antrieb.«
Die Leute fühlten sich von Fischers Energie und Großzügigkeit angezogen, seiner beinahe kindlichen Begeisterungsfähigkeit, die ganz unschuldig und ohne Hintergedanken daherkam. Unverbildet und gefühlsstark, ohne jeglichen Hang zur Nabelschau hatte er diese Art von geselliger, magnetischer Ausstrahlung, die ihm auf der Stelle Freunde fürs Leben einbrachte.
Hunderte von Leuten – auch solche, die er nur ein-, zweimal gesehen hatte – betrachteten ihn als ihren Busenfreund. Darüber hinaus war er auffallend attraktiv, mit dem Körper eines Bodybuilders und den markanten Zügen eines Filmstars. Folglich fühlten sich auch viele Frauen von ihm angezogen, und er war gegenüber dem Interesse, das man ihm von dieser Seite entgegenbrachte, durchaus nicht immun.
Den schönen Dingen des Lebens alles andere als abgeneigt, rauchte er viel Cannabis (jedoch niemals bei der Arbeit) und trank auch mehr, als ihm guttat. Ein Hinterzimmer der Mountain-Madness-Büros diente Scott als eine Art geheimes Klubhaus: Nachdem er seine Kinder ins Bett gebracht hatte, zog er sich gerne mit seinen Kumpels dorthin zurück, um die Pfeife rumgehen zu lassen und sich ein paar Dias ihrer Mannestaten auf den Gipfeln anzusehen.
In den achtziger Jahren gelangen Fischer eine Reihe eindrucksvoller Besteigungen, die ihm bescheidenen lokalen Ruhm einbrachten; die Bekanntheit in internationalen Bergsteigerkreisen blieb ihm jedoch versagt. Trotz größter Anstrengungen gelang es ihm nicht, einen lukrativen Sponsorenvertrag zu landen, wie ihn einige seiner berühmten Kollegen in der Tasche hatten. Er machte sich Sorgen, daß diese Top-Bergsteiger ihn nicht respektierten.
»Anerkennung war sehr wichtig für Scott«, sagt Jane Bromet, seine Presseagentin, Vertraute und häufige Kletterpartnerin, die die Mountain Madness Expedition bis ins Basislager begleitete, um Berichte ins Internet für
Outside Online
einzugeben. »Er lechzte richtiggehend danach. Er hatte eine verletzliche Seite, die von den meisten kaum wahrgenommen wurde. Es hat ihn wirklich gestört, daß er, der sich als Bergsteiger den Arsch aufriß, nicht anerkannter war. Er fühlte sich herabgesetzt, und es hat ihn gekränkt.«
Als Fischer im Frühling 1996 nach Nepal aufbrach, hatte er ein Stück mehr von jener Anerkennung erlangt, die ihm seiner Meinung nach zustand. Ein Großteil davon kam im Gefolge seiner Besteigung des Everest 1994, die ihm ohne Flaschensauerstoff gelungen war. Fischers Team, das er die Sagarmatha-Umweltschutz-Expedition taufte, räumte damals zweieinhalb Tonnen Müll vom Berg – was sehr gut für die Landschaft war und sich als noch viel besserer Werbeschachzug herausstellte. Im Januar 1996 leitete Fischer eine im großen Stil organisierte Besteigung des Kilimandscharo, dem höchsten Berg Afrikas, als Spendenaktion für CARE , eine karitative Einrichtung. Die Aktion machte ein Plus von einer halben
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