In eisige Höhen
Ohren. Fischer zog alle Register, und nicht zuletzt deshalb machte die Zeitschrift die feste Zusage, mich auf den Everest zu schicken – wahrscheinlich, wie Wetzler andeutete, als Mitglied von Fischers Expedition. In Scotts Vorstellung war die Sache unter Dach und Fach.
Einen Monat vor meiner geplanten Abreise rief mich Wetzler jedoch an, um mir mitzuteilen, daß man sich anders entschieden habe: Rob Hall hatte der Zeitschrift ein erheblich besseres Angebot unterbreitet. Wetzler schlug also vor, daß ich mich der Adventure-Consultants-Expedition anschließen solle anstatt Fischers. Da ich Fischer kannte und schätzte und von Rob Hall damals so gut wie nichts wußte, reagierte ich anfänglich eher ablehnend. Nachdem mir jedoch Halls tadelloser Ruf von einem bewährten Kletterkumpel bestätigt worden war, sagte ich begeistert zu, mit Adventure Consultants auf den Everest zu gehen.
An einem Nachmittag im Basislager fragte ich Hall, warum er so scharf darauf gewesen sei, mich dabeizuhaben. Er erklärte mir freimütig, daß er weder besonders an meiner Person interessiert sei noch an der Publicity, die ihm mein Artikel vielleicht einbringen würde. Der ausschlaggebende Grund seien vielmehr die für sein Unternehmen so wertvollen Gratis-Anzeigen gewesen, die er durch den Deal, den er mit
Outside
abgeschlossen habe, erhalten würde.
Hall sagte mir, daß er nur 10000 Dollar statt seines normalen Preises nehme. Der Rest wird mit teurem Anzeigenraum in der Zeitschrift abgegolten, deren Zielgruppe ein gutverdienendes, abenteuerlustiges, sportlich aktives Publikum ist – das Herzstück seiner Klientel. Und, viel wichtiger noch, wie Hall mir sagte: »Es ist ein amerikanisches Publikum. Achtzig bis neunzig Prozent des potentiellen Marktes für Führungen auf den Everest und die Sieben Gipfel ist in den Vereinigten Staaten. Wenn sich mein Freund Scott nach dieser Saison als Everest-Führer etabliert hat, wird er gegenüber Adventure Consultants einen großen Vorteil haben, ganz einfach, weil er von Amerika aus operiert. Wenn wir mit ihm mithalten wollen, müssen wir uns dort mehr um Anzeigen kümmern.«
Als Fischer im Januar herausfand, daß Hall mich aus seiner Expedition rausverhandelt hatte, platzte er fast vor Wut. Er rief mich aus Colorado an, so aufgeregt wie nie, um mir zu sagen, daß er gar nicht daran denke, Hall den Sieg einfach so davontragen zu lassen. (Wie Hall zuvor machte auch Fischer keinen Hehl daraus, daß sein Interesse nicht mir persönlich galt, sondern vielmehr an der mit mir einhergehenden Publicity und Anzeigenwerbung.) Er war jedoch letztlich nicht gewillt, mit Halls Angebot gleichzuziehen.
Als ich im Basislager als Mitglied der Adventure-Consultants-Gruppe statt mit Fischers Mountain-Madness-Expedition eintraf, schien Scott mir nicht weiter böse zu sein. Als ich ihn in seinem Lager besuchte, schenkte er mir einen Becher Kaffee ein, legte mir den Arm um die Schultern und schien alles in allem wirklich erfreut darüber zu sein, mich zu sehen.
Trotz des Komforts im Basislager wurde man ständig daran erinnert, daß man sich drei Meilen über dem Meeresspiegel befand. Der Gang zum Speisezelt brachte mich jedesmal minutenlang aus der Puste. Wenn ich mich mit einer zu raschen Bewegung aufrichtete, drehte sich mir der Kopf, und mir wurde schwindlig. Der tiefsitzende Keuchhusten, den ich mir in Lobuje geholt hatte, wurde mit jedem Tag schlimmer. An Schlaf war gar nicht zu denken, typisches Symptom einer leichteren Höhenkrankheit. Meistens wachte ich drei-, viermal auf und rang wie ein Erstickender nach Atem. Kleine Schnittwunden und Kratzer wollten nicht heilen. Ich bekam kaum noch einen Bissen runter, und mein Verdauungsapparat, der ja für die biochemische Umwandlung von Nahrung möglichst viel Sauerstoff benötigt, schien viel von dem, was ich brav herunterwürgte, nicht verwerten zu wollen. Statt dessen begann mein Körper sich selbst als Nahrung zu verzehren. Meine Arme und Beine waren bald so dünn wie zwei Stöcke.
Einigen meiner Teamgefährten setzten die dünne Luft und die unhygienischen Zustände noch mehr zu als mir. Andy, Mike, Caroline, Stuart und John litten an Störungen des Magen-Darm-Trakts und mußten ständig aufs Klo rennen. Helen und Doug waren von quälenden Kopfschmerzen geplagt. Doug beschrieb sie mir so: »Ungefähr so ein Gefühl, als ob dir jemand einen Nagel zwischen die Augen gehämmert hat.«
Dies war Dougs zweiter Everest-Versuch mit Hall. Letztes Jahr hatte Rob ihn und
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