In eisige Höhen
Gletschern bedeckt, von denen riesige Eislawinen Tag und Nacht hinunterdonnerten. Eine Viertelmeile nach Osten, eingeklemmt zwischen der Nuptse-Wand und der westlichen Schulter des Everest, brach der Khumbu-Gletscherbruch wie ein in Eis erstarrtes Scherbenchaos durch eine enge Schlucht. Das Amphitheater war nach Südwesten hin offen, so daß die Sonne hereinflutete. An klaren, windstillen Nachmittagen war es warm genug, um im T-Shirt im Freien zu sitzen. Aber sobald die Sonne hinter den konischen Gipfel des Pumori tauchte – ein 7165 Meter hoher Berg gleich westlich des Lagers –, stürzte die Temperatur auf teilweise unter zehn Grad minus. Wenn ich mich nachts ins Zelt zurückzog, wurde ich von einem Madrigal aus Knirsch-und Knacklauten in den Schlaf gesungen, eine Mahnung daran, daß ich auf einem ständig vorwärtstreibenden Eisfluß lag.
In auffallendem Gegensatz zu der Unwirtlichkeit unserer Umgebung standen die unzähligen Annehmlichkeiten, die das Leben im Adventure Consultants Camp bot, das Heim von vierzehn Westlern – die Sherpas benutzten für uns nur die Sammelbegriffe »Teilnehmer« und »Sahibs« – und vierzehn Sherpas. Unser Speisezelt war mit einem riesigen Steintisch, einer Stereoanlage, einer Bibliothek und sich aus Solarenergie speisendem Strom ausgestattet. Das angrenzende Kommunikationszelt beherbergte ein Satellitentelefon- und Faxgerät. Die improvisierte Dusche bestand aus einem Gummischlauch und einem Eimer voll Wasser, das vom Küchenpersonal erhitzt wurde. Alle paar Tage traf auf den Rücken der Yaks frisches Brot und Gemüse ein. In Fortsetzung einer noch aus Raj-Zeiten stammenden Tradition, die von Expeditionen jener Tage eingeführt worden war, kamen Chhongba und sein Küchenjunge Tendi jeden Morgen bei den Zelten vorbei und servierten uns Kunden eine Tasse dampfenden Sherpa-Tee an den Schlafsack.
Ich hatte viele Geschichten darüber gehört, wie der Everest von den immer zahlreicher werdenden Bergsteigerkolonnen in eine Abfalldeponie verwandelt worden war. Vor allem den kommerziell arbeitenden Expeditionen gab man daran die Schuld. Obwohl das Basislager der siebziger und achtziger Jahre tatsächlich ein großer Müllhaufen war, ist es in den letzten Jahren in einen ziemlich sauberen Ort verwandelt worden sicherlich der sauberste, seit ich Namche Bazaar verlassen hatte. Und diese neue Reinlichkeit ist vor allem das Verdienst der kommerziellen Expeditionen.
Da sie sich ihr Brot damit verdienen, Jahr für Jahr Kundschaft an den Everest zu bringen, haben die Bergführer daran natürlich ein stärkeres Interesse als der einmalige Besucher. Als Teil ihrer Expedition von 1990 initiierten Rob Hall und Gary Ball eine Aktion, die das Basislager schließlich von fünf Tonnen Müll befreite. Hall und ein paar seiner Kollegen haben sich ebenfalls mit der Regierung in Katmandu zusammengesetzt, um Wege zu überlegen, wie Bergsteiger zu Sauberkeit am Berg ermuntert werden können. Von 1996 an mußten Expeditionen zusätzlich zu der Genehmigungsgebühr viertausend Pfund Kaution hinterlegen, die nur dann zurückerstattet wurde, wenn eine vorgegebene Menge Müll nach Namche und Katmandu zurücktransportiert wurde. Selbst die Exkrementenfässer unserer Toiletten mußten weggeschafft werden.
Im Basislager ging es zu wie auf einem Ameisenhaufen. In gewissem Sinne füngierte Halls Adventure-Consultants-Lager als Regierungssitz des gesamten Basislagers, denn niemand auf dem Berg gebührte mehr Respekt als Hall. Wann immer ein Problem auftauchte – ein Arbeitsstreit mit den Sherpas, ein medizinischer Notfall, eine kritische Entscheidung über Kletterstrategien –, kamen die Leute in unser Speisezelt getrabt, um sich Halls Rat einzuholen. Und er verteilte seine angehäuften Weisheiten großzügig, auch an seine Rivalen, die mit ihm um Kunden buhlten, vor allem Scott Fischer.
Fischer hatte zuvor einen Achttausender erfolgreich als Bergführer bestiegen: 11 den 8 047 Meter hohen Broad Peak im Karakorum-Gebirge von Pakistan. Das war 1995. Er hatte sich ebenfalls viermal am Everest versucht und einmal, 1994, den Gipfel erreicht, allerdings nicht als Bergführer. Im Frühling 1996 führte er seine erste Tour zu dem Berg als Leiter einer kommerziellen Expedition. Wie Hall hatte auch Fischer acht zahlende Kunden in seiner Gruppe. Sein Lager – leicht auszumachen anhand einer riesigen Starbucks-Coffee-Reklamefahne, die von einem hausgroßen Granitblock hing – war nur fünf Minuten zu Fuß den Gletscher
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