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In eisigen Kerkern (German Edition)

In eisigen Kerkern (German Edition)

Titel: In eisigen Kerkern (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Köhler
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Kälte biss Nelli ins Gesicht, aber innerlich war sie am Auftauen. Die Bewegung tat ihr gut, auch die Übelkeit ließ nach.
    „Du bist gut, Nelli, wirklich“, lobte Andi, als er beim Zurückkommen über die Ladefläche spitzte und Nelli rücklings ans Führerhaus gelehnt vorfand.
    „Jetzt bin ich richtig gespannt, was du mir zu sagen hast. Hoffentlich ist es ein bisschen mehr als Hhhrrrggg...“
    Er äffte ihr kältestarres Gesicht nach, kicherte, schwang sich auf den Fahrersitz und schlug die Tür zu.
    Mit einem Ruck setzte der Laster nach vorn, als Andi die Handbremse löste und zugleich Gas gab. Zielstrebig steuerte er nach rechts, Richtung Tal, und erreichte die Straße. Nelli spürte, begleitet von bitterem Schmerz, noch einmal die Erleichterung des Nachmittags, als sie endlich ihr Fahrrad zurückerobert hatte und sich davonmachen konnte.
    „Andi?“
    Sie staunte, wie laut und klar sie die Anrede zusammenbekam. Die Bewegung hatte sie aufgewärmt und ihr neue Kraft gegeben, sogar neuen Mut.
    „Ja?“, erklang es scheinbar weit weg im Inneren des Führerhauses.
    „Das Tagebuch“, schrie sie.
    „Ja?“
    „Du hattest recht. Es ist vor allem ein langer Brief an meine Tochter.“
    „Und?“
    Der Laster wurde abgebremst, rumpelte vom geteerten Areal um das Haus auf einen unbefestigten Weg und nahm wieder Fahrt auf. Von zwei Seiten traf Nelli der eiskalte Luftstrom des Fahrtwindes, der vom Führerhaus gebrochen wurde.
    „Ich möchte dich bitten...“
    Ein Schaudern lief durch ihren Körper. Von dem bitterkalten Zug bekam sie Ohrenschmerzen.
    „Was?“
    „Es ihr schicken!“
    In der aufrechten Haltung fing ihre rechte Hand höllisch an zu schmerzen. Die Schnittwunde brannte bis auf die Knochen, und die Schwellung schien noch zuzunehmen.
    „Wem? Was schicken, Nelli?“
    „Das Tagebuch an meine Tochter.“
    „Warum sollte ich das tun?“
    „Mein letzter Wille.“
    „Aber was bringt das?“
    „Es ist für sie bestimmt, alles da drin. Verstehst du denn nicht? Es veröffentlichen und Vorträge halten, das war nur ne blöde Idee.“
    Sie war vom Schreien so heiser geworden, dass sie krächzte.
    „Nein, das versteh ich nicht, Nelli. Du musst mir schon ein bisschen mehr verraten. Streng dich an.“
    „Ihre Adresse. Schicken, bitte. Sie soll wissen, wa...“
    Ihre Stimme kippte und versagte. Warum ich gegangen bin, wollte Nelli schreien, aber unter dem Röhren des Lasters hörte sie ihre eigenen Worte nicht mehr.
    „Was soll sie wissen? Warum ist das denn so wichtig?“
    Nelli räusperte sich. Ihr Zittern wurde heftiger.
    „Tja, Nelli, da wird wohl nichts draus. Schade. Und übrigens brauche ich das Tagebuch doch für mein Projekt. Es ist sogar das Herzstück des ganzen Dioramas.“
    Diorama? Nelli überlegte. Was war das noch mal?
    „Dann lass mich... wenigstens noch... einen kurzen Brief an sie schreiben.“
    Die Worte kamen aus ihrem Mund heraus, aber nur als Flüstern.
    Diorama.
    Klang irgendwie nach Museum.
    Nelli zog die Beine so weit an den Bauch wie sie nur konnte. In der kauernden Haltung ließ sie sich nach links fallen.
    „Nelli? Hast du mich verstanden?“
    „Hhhrrrggg...!“
    Sie hatte das Gefühl, ihre Backe würde gleich an dem eisigen Metall fest frieren. Durch Drehen und Winden versuchte sie auf die Knie zu kommen, aber die ständigen Schlaglöcher brachten sie immer wieder aus dem Gleichgewicht.
    Der Laster bog in einem weit geschwungenen Bogen nach rechts und fuhr stetig und immer steiler bergauf. Mit der zunehmenden Höhe assoziierte Nelli zunehmende Kälte. Ob eingebildet oder wirklich gefühlt, das Zähneklappern wurde stärker.
    Sie stemmte ihren Kopf in den Winkel zwischen Führerhaus und Ladefläche und versuchte, sich auf die Knie zu drücken. Der Laster schaukelte über unebenes Gelände, aber fuhr inzwischen so langsam, dass es kaum heftige Stöße gab, die Nelli aus dem Gleichgewicht bringen konnten.
    Diesmal gelang es ihr. Sie verhakte sich mit dem Kinn, rutschte mit den Knien nach, drückte sich hoch und steckte den Kopf durch das Fensterchen.
    „Nelli, grüß dich! Hast du es also geschafft, dich zu mir durchzukämpfen.“
    Es klang so überrascht und fürsorglich wie am Morgen, als sie blutend in die Wirtsstube gekommen war und er sich überschlagen hatte, den Verbandskasten zu holen und sie zu verarzten.
    „Andi, kannst du...“
    „Was, Nelli? Ich kann dich nicht verstehen.“
    „Ich kann... nicht lauter.“
    „Ach so. Warte, ich komm ein bisschen näher.“
    Er

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