In eisigen Kerkern (German Edition)
erzählen, wirklich alles, und dann Augen und Ohren fest verschließen, wenn es an die Öffentlichkeit kam. Hauptsache, sie würde in ihr schmerzlich vermisstes altes Leben zurückkehren können, zumindest ansatzweise. Hauptsache weg von der Straße.
Als die öffentliche Uhr an der Postplatz-Kreuzung von 8.59 Uhr auf 9.00 Uhr rückte, stand Nelli auf, öffnete den Reißverschluss ihres Bauchbeutels, schüttete ihre allerletzten Münzen in die rechte Hand und ging zur linken der beiden Telefonstelen.
Beim ersten Versuch, die lange Zahlreihe einzugeben, verwählte sie sich. Mit zitternder Hand hängte sie den Hörer ein.
„Verdammt, das ist kein Vorstellungsgespräch, nimm dich zusammen! Du bist keine Bittstellerin, sondern hast was zu verkaufen, das diese Frau unbedingt will. Also los!“
Sie ballte die Hände zu Fäusten. Es war einfach zu wichtig, zu wichtig.
Nein, war es nicht. Es gab jede Menge Klatschblätter. Wenn es mit der nichts wurde, würde sie eben...
Würde sie eben nicht! Nelli brach der Schweiß aus. Wie sollte sie denn mit den Zeitungsleuten verhandeln, wenn sie nicht mal Geld zum Telefonieren hatte? Es war wirklich immens wichtig, wie dieses eine Gespräch ausging, das sie sich noch leisten konnte, zu wichtig, um es zu versauen.
Als die Panikattacke vorüber war, hob Nelli wieder ab. 9.07 Uhr. Sie wählte. Freizeichen.
Was sag ich nur, ich hab mir noch gar nicht überlegt, was...
„ Von Frau zu Frau , Sie sprechen mit der zentralen Vermittlung, was kann ich für Sie tun?“
„Ich wollte eigentlich...“
Nelli räusperte sich.
„Ich dachte, das sei die Durchwahl von einer Ihrer Reporterinnen, Herolder heißt sie. Hier Nelli Prenz.“
Zwei Münzen fielen durch. Nelli hatte noch knapp über vier Euro. Sie steckte zwei davon in den Apparat.
„Wir haben in der Redaktion eine Fiona Herolder, meinen Sie die?“
„Ja, wahrscheinlich. Können Sie mich verbinden?“
„Frau Herolder ist noch nicht am Platz. Ich schau mal, wann sie heute kommt.“
„Beeil dich!“, flüsterte Nelli und trat von einem Bein aufs andere.
„Sieht so aus, als ob sie heute gar nicht kommt. Kann Ihnen jemand anders weiterhelfen?“
„Ich weiß nicht, es ist nur, mein Geld ist gleich durch. Kann ich vielleicht eine Handynummer von dieser Frau Herolder bekommen und sie gleich anrufen?“
„Sie hat heute ihren freien Tag und ihr Mobiltelefon wahrscheinlich gar nicht eingeschaltet. Wenn Sie einfach morgen noch einmal anrufen würden.“
Es klackte, und eine weitere Münze rollte durch. Nelli machte eine Bewegung nach oben, war im Begriff, ihr letztes Geld einzuwerfen. Ihr Blick fiel auf den Imbisswagen gegenüber.
„Hören Sie, es ist wirklich ganz wichtig! Bitte sagen Sie Frau Herolder, dass Nelli Prenz angerufen hat. Es geht um den Serienmordfall am Gletscher. Sie hat über einen Herrn Platzer Kontakt zu mir aufgenommen. Ich gebe Ihnen eine Nummer durch, unter der ich zu erreichen bin. Wenn Sie nur ein paar Sekunden warten würden.“
Nelli ließ den Hörer baumeln und rannte um die Treppen des Haupteingangs der Stadtpost herum zum gegenüberliegenden Eck, wo der Imbisswagen stand. Die Betreiberin war gerade dabei, ein paar Bratwürste in ein Brötchen zu klemmen und Senf aufzustreichen. Der Kunde hielt sein Geld bereit.
„Entschuldigung“, rief Nelli außer Atem und legte mit einem lauten Klirren ihre letzten Münzen auf die Glastheke. „Ich habe eine ungewöhnliche Bitte. Ich erwarte einen dringenden Anruf, aber habe kein Telefon. Das Geld ist für Sie, wenn Sie mir Ihre Handynummer verraten, damit ich die als Kontaktmöglichkeit...“
„Aber ich habe gar kein Handy“, sagte die Frau freundlich, während sie dem Kunden seine Bratwürste gab und das Geld von ihm entgegennahm.
Nelli schnaufte aus und resignierte. Alles umsonst gewesen.
„Ich hätte ein Handy“, sagte der Kunde, sah sie an und biss in seine Bratwürste. Es war ein junger Kerl in halblangen grauen Hosen und weißem T-Shirt. Ein Socken war hochgezogen, der andere hing ausgeleiert herunter.
Nelli packte ihn am Arm, rannte los und zog ihn hinter sich her.
„Kau schnell runter“, befahl sie beim Laufen. „Ich gebe dir jetzt gleich eine Frau, der sagst du deine Nummer durch.“
„He, Ihr Geld“, hörte sie hinter sich die Imbissbudenbetreiberin rufen.
Nelli beachtete sie nicht, zerrte den jungen Mann an die Telefonstele heran und gab ihm den Hörer.
„Hallo“, sagte er, „ich soll Ihnen meine... – Hallo?!“
Er
Weitere Kostenlose Bücher