In eisigen Kerkern (German Edition)
mit allen Mitteln durchzusetzen. Nelli fuhr es eiskalt den Rücken runter. Genau wie bei Andi. Dieses Nebeneinander, dieses unvermittelte Ein- und Ausschalten von Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft – in der einen Sekunde noch liebenswert, in der anderen knallhart. Nelli versteifte sich.
„Also, um es ganz offen zu sagen: Ich bin Journalistikstudent, und...“
„Wie bitte!“
„Lassen Sie mich ausreden, okay!“
Seine Stimme war befehlend, er schaute ihr fest in die Augen.
„Hast du die Nummer für mich oder nicht?“, fragte Nelli leise.
„Hab ich.“
„Dann gib sie mir.“
„In einer Minute. Hören Sie mir nur zu, okay?“
„Eine Minute“, sagte Nelli entschieden. „Dann bin ich weg, ob du mir die Nummer gibst oder nicht.“
„Schon klar. Also, ich mache zur Zeit ein Praktikum. Ich weiß, wer Sie sind, ich habe von der Sache am Gletscher gehört. Und ich weiß, dass Sie Ihre Geschichte an diese Illustrierte verkaufen wollen.“
„Wirklich toll, was du alles weißt, aber die Minute ist um. Bekomme ich die Telefonnummer?“
Er zog einen Zettel aus der Hosentasche und hielt ihn Nelli so hin, dass sie ihn auch mit ausgestrecktem Arm nicht erreicht hätte.
„Ich will dabei sein.“
„Was?“
Nelli starrte ihn betont ungläubig an.
„Ich will in irgendeiner Form an der Story beteiligt werden.“
„Du willst Geld?“
„Nein. Ich will einen Fuß in die Tür bekommen. Hinter dieser Illustrierten steht ein großer Verlag, der auch seriöse Zeitungen herausgibt.“
„Du denkst doch nicht, dass ich dir da einen Job verschaffen kann, oder?“
„Nein, aber ich will bei Ihrer Story mitmachen, einfach nur zuhören dürfen, vielleicht auch was schreiben und denen auffallen. Wie schon gesagt, einen Fuß in die Tür bekommen.“
„Da hab ich doch überhaupt keinen Einfluss. Ich bin dir sehr dankbar für deine Hilfe, auch wenn sich das durch dein Verhalten heute schon wieder relativiert hat, aber was du da verlangst...“
„Stellen Sie mich als Ihren Assistenten vor. Oder einen weitläufigen Verwandten. Das ist doch wirklich nicht zu viel verlangt. Außerdem kann ich Ihnen sehr hilfreich sein.“
„Ach ja, wie denn?“
„Sie haben kein Geld. Ich hab auch nicht viel, aber ich hab ein Auto, ein Handy...“
„Pfeif drauf, ich komm schon zurecht.“
„Und ich hab die Nummer.“
Er wedelte mit dem Zettel. Nelli schnaubte verächtlich, schüttelte den Kopf, nahm ihr Fahrrad vom Ständer und schob es in Richtung der Telefonstelen.
„Und was, wenn ich die Geschichte in einer anderen Zeitung bringe? Ich weiß genug. Und ich hab gestern heimlich ein Foto von Ihnen gemacht, wie Sie da bei den Telefonen herumstanden.“
Nelli drehte sich um.
„Du weißt gar nichts.“
„Ganz egal wie viel oder wenig ich weiß, aber wenn eine andere Zeitung was bringt, ist die Story nicht mehr exklusiv, und Sie können Ihren Geldsegen vergessen.“
„Das lasse ich gerne drauf ankommen.“
Sie stellte ihr Fahrrad ab, zog ihren zerknüllten, wieder geglätteten und jetzt sorgfältig gefalteten Zettel aus der Tasche und ihre letzten Münzen. Gerade noch genug, so hoffte sie zumindest, um dieser Frau Herolder mitzuteilen, dass sie für weitere Kontakte erst mal Geld zu schicken hatte.
Rolf war ihr hinterher gedackelt und stand da jetzt schweigend mit hängenden Schultern. Auf einmal war er wieder der liebe, traurige, treudoofe Junge. Was war echt? Das jetzt? Die Münzen hatte sie nur durch ihn. Wer weiß, ob die Imbissbetreiberin sie ihr heute noch gegeben hätte.
Sein Blick sagte: Lass mich bitte nicht im Stich.
Das war doch lächerlich! Was man an einem Menschen versäumt hatte, konnte man nicht an einem anderen wieder gutmachen.
„Ich hab gar kein Praktikum“, sagte er leise. „Bevor ich Sie gestern getroffen habe, war ich bei mehreren Redaktionen, um mich zu bewerben, aber die haben zur Zeit keine Plätze frei. Als Trostpflaster für die ganzen Absagen hab ich mir erst mal eine Bratwurst gegönnt. So war das. Tut mir leid, dass ich mich so aufgespielt habe.“
Nelli wollte nicht, aber sie musste lächeln.
„Ich bin nicht gut darin, mich mit anderen Leuten abzugeben“, sagte sie, und wunderte sich selbst, wie versöhnlich ihre Stimme klang.
„Geben Sie mir ne Chance.“
„Oh Gott! Ich, der chancenloseste Mensch auf Erden, werde um eine Chance gebeten“, seufzte sie laut und theatralisch, musste über sich selbst lachen, und er stimmte in das Lachen ein.
„Also, gib schon dein Handy
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