Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
In eisigen Kerkern (German Edition)

In eisigen Kerkern (German Edition)

Titel: In eisigen Kerkern (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Köhler
Vom Netzwerk:
zerlegen“, nörgelte er. „Ich hab nämlich bloß ne Ente.“
     
    „Das ist Rolf Kressel, ein Journalistikstudent, der ein Praktikum sucht“, stellte Nelli ihn vor, nachdem Fiona Herolder mit einem Zucken des Kopfes und übertrieben betontem Zusammenziehen der Augenbrauen signalisiert hatte, wie wenig sie davon hielt, einen Begleiter an Nellis Seite vorzufinden.
    Es hatte zwei Tage gedauert, bis das Geld auf Nellis Konto eingetroffen war – zwei Tage, die sie damit zugebracht hatte, ihre Erinnerungen zu sortieren, ohne jedoch irgendwas davon in ihr Tagebuch zu schreiben. Das Tagebuch, für das sie fast ihr Leben verloren hatte, steckte nach wie vor in der Schutzhülle in einem Stoffbeutel ganz unten in ihrer linken Satteltasche.
    Nelli hatte seit jener schrecklichsten Nacht ihres Lebens nicht einmal Alpträume gehabt, geschweige denn Panikattacken, Depressionen oder Todessehnsucht. Der ganze Psycho-Mist, mit dem sich andere Leute nach einschneidenden Erlebnissen herumplagten, war ihr erspart geblieben. Aber sie hatte eine tiefsitzende Abneigung, ihr Tagebuch hervorzuholen, hineinzuschauen oder gar etwas aufzuschreiben. Erlebnisse schriftlich festzuhalten – das war vorher gewesen.
    Würde sie ihre Erlebnisse aber erzählen können? Die Anzahlung war eine Verpflichtung, die Nelli Unbehagen und Erleichterung gleichermaßen bereitete. Mit dem Vorschuss war ihr Konto von minus 1.000 Euro, ihrem recht kläglichen Dispo, auf genau null gerutscht, womit sie erst mal wieder überziehen konnte.
    Rolf war für die 100 Euro Fahrgeld sichtlich dankbar gewesen, und als Nelli seine klapprige hellgrüne Ente sah, war ihr auch klar, wieso. Das Fahrrad passte mit abmontiertem Vorderrad gerade so auf die Rückbank. Die Packtaschen fanden nur mit Mühe Platz in dem winzigen Kofferraum. An der ersten Tankstelle Richtung Autobahn tränkte Rolf sein Gefährt nicht nur mit Sprit, sondern auch mit Kühlerflüssigkeit und Öl, und das jeweils nicht zu knapp.
    Obwohl der Sommer sich von seiner besten Seite zeigte, fror Nelli bitterlich im Fahrtwind, der durch alle Ritzen der Ente zog, und kaum in München eingetroffen, begann sie heftig zu niesen. Seit Jahren war sie nicht erkältet gewesen, und jetzt das, ausgerechnet.
    Am nächsten Tag, als sie auf dem Münchner Marienplatz zu dem Treffen erschienen, fühlte sie sich absolut beschissen. Fiona Herolders Gesicht, als ihr Rolf vorgestellt wurde, zog sie gar ganz runter, und sie sah ihre Felle davonschwimmen.
    „Schön für Herrn Kressel, aber was soll das?“, fragte die Reporterin. Rolf, der seine Hand zur Begrüßung ausgestreckt hatte, zog sie betreten wieder zurück, als klar wurde, dass mit einer Erwiderung nicht zu rechnen war.
    „Er würde gern zuhören, vielleicht auch mal was zur Story beitragen, wenn Sie nichts dagegen haben, und ansonsten einfach nur ein bisschen was von Ihnen lernen.“
    „Ist nicht drin. Ich arbeite allein. Und ich bin auch kein Babysitter.“
    „Aber...“, wollte Rolf protestieren. Nelli stellte ihr Fahrrad auf den Ständer, nahm ihn sanft am Arm, zog die 100 Euro hervor, die sie in ihrer rechten Jeanstasche für diesen Fall bereit gesteckt hatte, und drückte sie ihm in die Hand.
    „Denk daran, was wir ausgemacht haben. Tut mir leid, Rolf, noch mal danke für alles, und komm gut heim.“
    Der junge Mann, so verdattert er noch war, stemmte sich gegen Nellis Versuch, ihn ein paar Schritte weit wegzuführen.
    „Was haben Sie denn gegen mich?“, rief er über die Schulter zurück in Richtung Fiona Herolder.
    „Du hast es versprochen“, beschwor ihn Nelli und drückte seinen Arm jetzt deutlich fester. Sie war heilfroh, ihr Fahrrad und ihre Sachen nicht im Auto gelassen, sondern hierher zum Treffen mitgebracht zu haben.
    „Aber ich will doch nur zuhören!“
    Fiona Herolder hatte sich längst beiseite gedreht, eine Zigarette aus ihrer Fototasche geholt und in kurzen, verärgerten Stößen den ersten Lungenzug wieder ausgepustet. Rolf starrte sie hasserfüllt an.
    „Wir hatten was vereinbart“, zischte ihm Nelli zu. „Ich hab meinen Teil erfüllt, wir sind uns nichts schuldig.“
    „Von wegen!“
    Er riss seinen Arm los und registrierte mit einem Rundumblick, dass etliche Passanten stehen geblieben waren und her starrten. Ohne Nelli noch mal zu beachten, drehte er sich weg und stampfte davon.
    „Das war sehr unprofessionell“, bemerkte Fiona Herolder in ihrer professionellen Freundlichkeit und zeigte Nelli ein hartes Lächeln.
    „Er meint’s

Weitere Kostenlose Bücher