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In ewiger Nacht

In ewiger Nacht

Titel: In ewiger Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Polina Daschkowa
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hörte auf, sich die Stirn zu reiben, schwankte und klammerte sich mit beiden Händen an die Untersuchungsliege. Sein Kehlkopf hüpfte, er zwinkerte heftig. Seine Hände krallten sich so an der Liege fest, dass sie ganz weiß wurden.
    »Sie schreiben nicht nur pornographische Geschichten über Vergewaltigung und die Ermordung von Kindern«, fuhr Doktor Filippowa mit ihrer sanften, ruhigen tiefen Stimme fort, »Sie drehen auch noch Pornofilme mit Kindern. Und damit nicht genug – Sie handeln mit Kindern.«
    Mark spürte, wie seine Pyjamajacke nass wurde und am Rücken klebte. Sie waren allein im Behandlungszimmer, die Schwester war hinausgegangen. Die Ärztin stand vor ihm und schaute ihn von oben herab an. Er zählte in Gedanken langsam bis zehn, leckte sich die trockenen Lippen, hob das Gesicht, sah ihr in die Augen und erklärte langsam und ruhig: »Das ist schmutzige Verleumdung. Wie kommen Sie nur auf etwas so Widerwärtiges? Halten Sie mich für einen solchen Dreckskerl? Was für Kinder? Wieso Internet?«
    Die Ärztin überhörte das und sprach weiter: »Shenja Katschalowa. Sie ist vor kurzem fünfzehn geworden. Sie haben Sie an einen Serienmörder verkauft. Er hat sie im Wald erwürgt, zwanzig Kilometer vor Moskau. Haben Sie sich mit ihm getroffen und Geld für Shenja bekommen? Na? Der Kunde, der Shenja gekauft hat. Wie sah er aus? Sie müssen nicht sofort antworten. Denken Sie nach. Wenn Sie bei der Fahndung nach dem Serienmörder behilflich sind, wird sich das vor Gericht günstig auswirken. Dann können Sie mit Strafmilderung rechnen.«
    Die Tür wurde aufgerissen, ein Pfleger stand draußen.
    »Entschuldigen Sie, Olga, Sie möchten bitte in die Notaufnahmekommen. Ein Patient wurde mit dem Krankenwagen eingeliefert.«
    »Ja, ich komme.« Sie beugte sich zu Mark und sagte leise: »Denken Sie nach, Mark, denken Sie nach. Das ist Ihre einzige Chance.«
    Dann drehte sie sich zu dem Pfleger um.
    »Sind Sie neu hier? Wie heißen Sie?«
    »Slawa.«
    »Angenehm. Slawa, bringen Sie bitte diesen Patienten in sein Zimmer und geben Sie ihm eine Analgin.«
     
    Der alte Lehrer saß am Schreibtisch und schrieb eine ausführliche Aussage nieder.
    Seit er erfahren hatte, dass Shenja ermordet worden war, fühlte er sich, als hätte er einen nahen Angehörigen verloren und sei schuld daran. Er hätte das Mädchen an die Hand nehmen und nach Hause zu ihrer Mutter bringen müssen. Warum hatte er nicht gefragt, wer jenseits des Parks auf sie wartete? Natürlich hätte sie ihm nicht geantwortet und ihm ihre Hand entrissen – aber vielleicht auch nicht? Wenn er von Anfang an anders mit ihr geredet hätte, wenn nicht diese Feindseligkeit zwischen ihnen aufgekommen wäre, hätte er sie zurückhalten können.
    Und warum hatte er die Aufsätze nicht früher durchgesehen? Das Tagebuch hatte bei ihm zu Hause gelegen. Hätte er es vor der Begegnung mit Shenja gelesen, hätte er sich ganz anders verhalten. Wie sollte er jetzt vor die Klasse treten? Wie auf den leeren Platz in der vierten Fensterreihe blicken? Wie sich im Spiegel in die Augen schauen? Natürlich war er an allem schuld! Er hätte sofort Alarm schlagen, die Mutter des Mädchens anrufen und die Miliz informieren müssen. Vermutlich hätte es einen Skandal gegeben, aber das Mädchen wäre noch am Leben.
    Jetzt wusste er genau, dass sein Verdacht gegen den sogenannten Onkel mehr als richtig gewesen war. Der Mörderwar bei ihm zu Hause gewesen und hatte ihm Indizien untergeschoben. Er sollte Angst haben. Also würde er keine Angst mehr haben.
    Solowjow, Sawidow und die Kriminaltechnikerin kamen vom Balkon wieder herein. Der alte Lehrer griff nach dem Stift.
    »Der Mörder hatte sich vollkommen in der Gewalt, aber einmal verlor er doch die Beherrschung. Ein paar Minuten lang wirkte er ganz abwesend, als sei er eingeschlafen oder halb bewusstlos. Seine Stimme klang verändert. Seine Augen konnte ich hinter der getönten Brille nicht sehen, aber ich bin sicher, sie waren geschlossen, als er sagte:
Es ist furchtbar, wenn Kinder leiden. Das Leben ist manchmal schlimmer als der Tod. Schmutz, Gemeinheit und Verderben. Man muss die Kinder retten, solange sie noch klein sind, solange noch etwas Reines, Helles in ihnen ist.
«
    Rodezki legte den Stift weg und wandte sich an Solowjow.
    »Wissen Sie, ich glaube, ich erinnere mich genau an seine Worte.«
    Alle hörten zu, sogar Sawidow.
    »Er ist ein Missionar«, sagte Rodezki. »Er meint, er rettet die Kinder, indem er sie tötet. Er ist

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