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In ewiger Nacht

In ewiger Nacht

Titel: In ewiger Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Polina Daschkowa
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heran, damit später jemand da ist, von dem du lernen kannst.«
    »Kirill, Sie …« Olga stockte, weil sie spürte, dass sie gleich losheulen würde, und wandte sich ab.
    Noch nie in all den Jahren hatte er so etwas zu ihr gesagt.
    »Na, genug jetzt.« Er zog eine Zigarette heraus, zündete sie aber nicht an. »Sonst bildest du dir noch was darauf ein und wirst hochnäsig. Hast du dich schon mit Solowjow getroffen?«
    Olga kam nicht mehr zum Antworten. Die Tür wurde aufgerissen, die blutjunge Krankenschwester Aljona stand draußen. Sie hielt die Katze Duska auf dem Arm. Ihr Fell war verfilzt, an einem Ohr klebte getrocknetes Blut.
    »Sie ist wieder da, das Scheusal!«, sagte Aljona.
    Die Katze miaute in tiefem Bass, sprang von Aljonas Arm und lief hinkend in die Ecke, wo ihr Fressnapf stand.
    »Stellen Sie sich vor, ich laufe den Weg lang, da liegt sie im Gebüsch …« Endlich bemerkte Aljona den Professor, entschuldigte sich, grüßte verlegen und glitt hinaus.
    Die Katze leckte den leeren Napf aus. Guschtschenko hatte inzwischen die ausgedruckten Pornogeschichten und die Kassette in seine Aktentasche gesteckt.
    »Nun gib dem armen Geschöpf doch endlich was zu fressen«, sagte er und lachte heiser.
    »Ja, ja, natürlich.« Olga öffnete den Kühlschrank, fand einen Rest Wurst und gab ihn der Katze. »Kirill, er ist es ganz bestimmt. Gut, dass Sie die Texte und die Kassette mitnehmen. Vergleichen Sie noch einmal, dann werden Sie selbst sehen.«
    »Natürlich, das werde ich.« Er trat zu ihr und küsste sie auf die Wange. »Reg dich vor allem nicht so auf. Gib der Katze Milch und dem Karussellfahrer Haloperidol. Er leidet vermutlich an einer paranoiden Form von Schizophrenie. Ich rufe dich an.«
    Er ging hinaus. Die Katze hatte die Wurst verschlungen und rieb sich nun laut schnurrend an Olgas Bein.
     
    Sie standen im Stau. Der helle Shiguli war verschwunden.
    Im Kofferraum liegen die Kassetten und DVDs, dachte Ika, sie müssen das Zeug schnell irgendwo verstecken. Vielleicht verstecken sie auch mich so lange, bis ich auspacke. Und dann töten sie mich still und heimlich. Wer außer Marina würde mich schon vermissen? Mark? Ha, ha, im Irrenhaus!
    Toma und Matwej redeten miteinander, aber sie hörte nicht, worüber. Sie schloss erneut die Augen und tauchte ab in ihr Kinderzimmer, setzte sich auf den Fußboden und drehte die Kurbel der Spieluhr. Die Melodie aus der kleinen runden Blechdose beruhigte und übertönte alle anderen Laute. Ika wollte sich unter der Decke verkriechen. Sie krümmte sich zusammen, um warm zu werden, und setzte Mama und Papa neben sich aufs Bett.
    Normalerweise saß nur Mama abends bei ihr am Bett und las ihr ein Märchen vor. Papa kam spät nach Hause, schaute zu ihr herein und küsste sie, wenn sie schon schlief. Doch in ihrer Phantasiehöhle war Ika die unumschränkte Herrin und konnte dafür sorgen, dass beide bei ihr saßen, Mama und Papa.
    »Wir erfahren die Adresse auf jeden Fall von dir, aber wir verlieren bloß Zeit, und außerdem wird es unangenehm für dich, also spuck’s lieber gleich aus.«
    »W-wollen Sie mich f-foltern?«, fragte Ika, ohne die Augen zu öffnen.
    »Nein. Wozu? Wir sind keine Unmenschen. Es gibt andere, humanere Methoden. Die moderne Pharmakologie ist sehr weit fortgeschritten.«
    Sie wollen mich unter Drogen setzen, dachte Ika. Besser, sie töten mich gleich.
    In ihrem Kopf herrschte tönende Leere. Sie wusste auf einmal, dass eine weitere Etappe ihres unsinnigen Lebens abgeschlossen war. Warum lief bei anderen alles glatt und kontinuierlich und bei ihr nur in abrupten Sprüngen, als schneide der liebe Gott ihr Schicksal scheibchenweise ab? Jede neue Scheibe war radikal anders als die vorige. Wie bei dem Kinderspiel, bei dem einer einen Kopf zeichnet, der Nächste den Körper, der Dritte die Beine, und dann faltet man das Blatt auseinander und schaut sich an, was dabei herausgekommen ist.
    Ika schlüpfte rasch aus dem Bett, lief barfuß zu ihrem geliebten Schreibtisch, nahm ein Blatt Papier und farbige Filzstifte und malte ein Porträt ihres Lebens. Schlanke Turnerinnenbeine in hübschen teuren Turnschuhen, ein hässlicher fetter Körper und Gott weiß was für ein Kopf – vielleicht sogar hübsch, aber absolut hirnlos.
    Bis zu ihrem zehnten Geburtstag war sie eine Ika, dann, bis zum siebzehnten, bei ihrer Tante, eine ganz andere.
    Die dritte Ika war anscheinend heute gestorben, mit zweiundzwanzig, die Vierte aber noch nicht geboren – wer weiß, was für

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