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In ewiger Nacht

In ewiger Nacht

Titel: In ewiger Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Polina Daschkowa
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und von sentimentalen ältlichen Frauen bewundert und verwöhnt werden. Richtigen männlichen Bartwuchs bekommen solche Knaben frühestens mit dreißig, wenn überhaupt.
    Als seine Mutter schwanger war, hat sie sich ein Mädchen gewünscht, dachte Mark bei sich.
    Der Flur endete in einer großen quadratischen Fläche, die den Patienten als eine Art Wohnzimmer diente. Am Boden festgeschraubte Bänke, ganz weit oben, fast unter der Decke, ein Fernseher. Marik lief auf allen vieren herum und blökte eifrig. Er konnte auch bellen und miauen. Diese Show zog der Junge vermutlich ab, um sich vor dem Armeedienst zu drücken.
    Wieso hat unsere Frau Doktor diesen Deserteur eigentlich noch nicht entlarvt, dachte Mark. Oder haben seine Eltern sie ordentlich geschmiert?
    »He, kleiner Schwuli«, rief Mark leise.
    »Bäh! Mäh!«
    Lass gut sein, Kleiner. Ist angekommen, dass du ein Idiot bist und untauglich für den Militärdienst. Obwohl du da einen großen Fehler machst. So hübsche Kerle wie du werdenin der Armee anständig gevögelt. Das hätte dir gefallen. So, wie du aussiehst, könntest du eine Menge Kohle machen, müsstest nur den Hintern hinhalten.
    Sie waren beide allein in der Flurecke. Es war Abendbrotszeit. Mark war zwar hungrig, konnte aber das Klinikessen nicht ausstehen. Und das Schäfchen Marik wartete, bis die diensthabende Schwester ihn holte. Das war eine Art Ritual. Das Schäfchen wurde aufgehoben, an die Hand genommen und an einen Tisch gesetzt. Um keinen anderen Patienten wurde so ein Gewese gemacht. Hätte Mark ihn vor fünf Jahren kennengelernt, würde er alles darangesetzt haben, um den appetitlichen Jungen für seine alternativen Filme zu bekommen. Er hätte einigen seiner seriösen Kunden bestimmt sehr gefallen.
    Vielleicht hätte ich einen von ihnen um Hilfe bitten sollen, überlegte Mark plötzlich. Schließlich haben sie ein vitales Interesse an meinem Geschäft. Kinderpornos und käufliche Kinder gibt es in Russland mehr als genug, aber vorerst übersteigt die Nachfrage noch immer das Angebot. Die seriösen verheirateten Männer wollen ständig etwas Neues, Frisches, und zwar ohne Ansteckungsgefahr und drohende Erpressung. Und die Kinder wachsen schnell heran, außerdem werden viele rasch unbrauchbar, weil sie Drogen nehmen. Viele, aber meine nicht.
    Mark stellte sich vor, wie er zum Beispiel einen pensionierten FSB-General anrief, einen Vater und Großvater, der in Fernsehdebatten die Unmoral der heutigen Jugend beklagte und mit beiden Händen für die Einführung einer Zensur gegen »Unzucht« stimmte. Mit denselben Händen begrapschte er regelmäßig, einmal im Monat, den dreizehnjährigen fügsamen stillen Jegorka, bis dieser blaue Flecke bekam.
    »Genosse (oder Herr) General, hier ist Mark. Ich stecke in Schwierigkeiten, irgendwelche Idioten sind hinter mir her. Seien Sie so gut und helfen Sie mir, nicht nur mir, sondern auch sich selbst. Wissen Sie, ich habe nämlich in meinem ArchivVideoaufnahmen von Ihnen und Ihrem Lieblingsjungen Jegorka – Sie und er im Bett. Sie verstehen. Stellen Sie sich vor, was passiert, wenn diese Aufnahmen in fremde Hände geraten!«
    Der General würde sich natürlich in die Hosen machen und wissen wollen, wo die Bänder sind. Der Rest war reine Spekulation. Mark ging im Kopf mehrere mögliche Varianten durch. So unterschiedlich sie auch waren, eines war immer gleich: Am Ende stand ein deutlicher schwarzer Punkt. Ein Loch von einer Kugel in Marks Kopf.
    Marik tollte noch immer herum, aber irgendwie träge. Schließlich verstummte er und blieb stehen, ein glänzendes blaues Auge auf den Karussellfahrer gerichtet. Seine Wangen waren gerötet, unter der dünnen Haut bewegten sich die Kaumuskeln.
    »Was ist, Kleiner?« Mark kicherte und schlug mit einer komischen Geste die Hände vors Gesicht. »Hilfe, ich hab Angst, ich hab Angst! Du bist ja so gefährlich!«
    Der Boden bebte leicht. Die diensthabende Schwester Sinaida kam den Flur entlang auf sie zu, eine Dame von hundertachtzig Kilo. Das Schäfchen zeigte Mark noch rasch die Faust mit ausgestrecktem Mittelfinger und begrüßte die Schwester mit einem freudigen »Bäh!«
    Nein, an meine Kunden kann ich mich nicht wenden, entschied Mark. Wenn sie mich jagen, weil jemand von den Kleinen hinter meinem Rücken einen Kunden erpresst – wer garantiert mir, dass ich nicht ausgerechnet an denjenigen gerate, der mich verfolgen lässt? Ich muss da selber rauskommen.
    »Marik, steh sofort auf!«, befahl Schwester Sinaida.

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