In ewiger Nacht
unheilbar. Unverheiratet, lebt allein. Sehr reinlich. Legt großen Wert auf sein Äußeres. Stabiles, relativ hohes Einkommen. Wird von den Kollegen geachtet, hat aber keine Freunde.
Ein spätes Kind, langersehnt, keine Geschwister. Ohne Vater aufgewachsen, ohne Mann in der Familie, großgezogen von der Mutter, die ihn verwöhnte, übermäßig behütete und ihm direkt oder indirekt die Überzeugung einimpfte, er sei etwas
Besonderes, anders als alle anderen. Besser, begabter, schöner. In der Kindheit schlechtes Verhältnis zu Gleichaltrigen (Muttersöhnchen). Wurde gehänselt. Konnte sich sozial nicht anpassen. Fraß die Kränkungen in sich hinein, rächte sich in der Phantasie an den Beleidigern.
In der Kindheit erlittene Kränkungen, das Bewusstsein der eigenen verborgenen Unzulänglichkeit, seiner Verletzlichkeit und zugleich seiner Einzigartigkeit dominieren seine Persönlichkeit. Daraus resultierende Unfähigkeit zu Empathie. Emotionale Kälte, gleichzeitig extreme Verletzlichkeit.
Den ersten Mord beging er vermutlich schon in seiner Jugend. Beim ersten Versuch sexuellen Kontakts zu einer Frau erlitt er eine schlimme Niederlage, wurde ausgelacht und tötete in einem Wutanfall. Das Verbrechen blieb unaufgeklärt und für ihn ohne strafrechtliche Konsequenzen. Die Erinnerung an die erlittene Demütigung, an den »Sieg« über deren Zeugin und »Verursacherin«, die beim Töten empfundene Ekstase, aber auch die Angst vor Entdeckung – das alles manifestierte sich zu einem permanenten psychotraumatischen Faktor.
Der erste Mord geschah zweifellos spontan. Später wurden sämtliche Einzelheiten in der Erinnerung immer wieder abgespult. Mit der Zeit wurde das zu einem Ritual, zunächst nur in der Phantasie. Doch eines Tages wurde das Ritual in der Realität umgesetzt.
Viele Jahre konstruierte Moloch komplizierte Selbstrechtfertigungen, denn sein eigenes Ich musste für ihn ideal bleiben, »göttlich«. Lange beherrschte er seinen Trieb zu töten. Auf einer Waagschale lagen die beim ersten Mord empfundenen starken Emotionen, auf der anderen die Angst, gefasst zu werden. Möglicherweise wählte er einen Beruf, der ihm die Möglichkeit gibt, seine krankhafte Neigung zum Phänomen Tod teilweise zu sublimieren (Medizin, Gerichtsmedizin, Kriminalistik). Er konzentrierte sich auf sein Studium und seine berufliche Karriere, suchte darin Selbstbestätigung und Verwirklichung seiner Ambitionen, vor allem sozialer.
Ein Versuch, in einen Dialog mit den Ermittlern zu treten, in ein Spiel, die sogenannte Wettbewerbsmotivation, die bei sexuellen Triebtätern mitunter vorliegt, ist in diesem Fall auszuschließen. Moloch ist ein Snob. Er verachtet alle Menschen und hält sie für geringer als sich. Dabei ist ihm die Meinung anderer über sich selbst sehr wichtig. Im täglichen Umgang, im Beruf ist er mitunter überheblich, spöttisch. Lächelt und scherzt häufig. Versteht sich auf subtile Beleidigungen.
In seinem zweiten, geheimen Leben scherzt er nicht. Da beleidigt er nicht, sondern tötet. Dort ist er ohne jeden Humor. Sein geheimes Leben ist voller Pathos, symbolischer Zeichen und Botschaften. Moloch ist eine Art Einmann-Sekte; betrachtet man seine Innenwelt unter diesem Aspekt, steht er ideologisch den russischen Skopzen nahe.
Die Sekte der Skopzen entstand in Russland Mitte des achtzehnten Jahrhunderts. Ihre Mitglieder, nicht nur Männer, sondern auch Frauen, kastrierten sich freiwillig, um sich vollkommen von der Sünde zu reinigen, indem sie die Möglichkeit zu sündigen beseitigten. Nach dem Ritual der Kastration wurden die Sektenmitglieder in das »Geheimnis« eingeweiht, dessen Kenntnis ihnen grenzenlose Macht verlieh, die Fähigkeit, Wunder zu vollbringen, Krankheiten zu heilen, wahrzusagen usw.
Moloch ist vom Wesen her ein fanatischer Kastrat, aber mit einem hohen Prozentsatz männlicher Hormone. Äußerlich ist er ein vollwertiger Mann mit ausgeprägter Libido, allerdings unfähig, seine sexuelle Lust zu befriedigen. Um das zu kompensieren, hat er seine männliche Unzulänglichkeit zum Fetisch erhoben, und daraus entstand die Wahnidee von einer besonderen Mission. Er hat sich sein eigenes philosophisches Konzept konstruiert, mit dem er sein Gebrechen zu einer höheren Idee der Reinheit hochstilisiert.
Es ist nicht auszuschließen, dass es in dem langen Zeitraum zwischen dem ersten und dem aktuellen Mord weitere Einzelfälle oder sogar Serien gegeben hat. Meines Erachtens sollten alle ähnlichen
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